Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
Schwäche für Frankreich«, antwortete Fiorilla. »Er hat als Schüler ein Jahr in einem Internat an der Côte d’Azur verbracht, nach dem Tod seiner Mutter, die Zeit hat ihn geprägt. Als Student ist er in den Ferien immer zur Weinernte gefahren. Und sogar unsere Hochzeitsreise ging nach Frankreich, die Loire-Schlösser, eine ausgezeichnete Weingegend, wie Sie wohl wissen.«
Ihre dunklen Augen waren noch eine Schattierung dunkler geworden. Livia glaubte, Trauer oder Ironie zugleich in ihnen abzulesen, aber sie war sich nicht sicher. Fiorilla Cacciapuoti war eine sehr gefaßte Witwe, die sich nicht so leicht hinter die Fassade blicken ließ.
»Offenbar lassen sich französische Weine in Neapel nicht gut verkaufen«, nahm Livia das Thema auf.
»Richtig«, fuhr die Witwe fort, »die Neapolitaner sind konservativ, regionalistisch und frankophob obendrein. Alles, was aus Amerika kommt, wird kopiert. Vielleicht hat es etwas mit dem Krieg zu tun. Wenn nicht die Amerikaner gekommen wären, sondern die Franzosen, hätten jetzt vielleicht französische Weine und Camembert Hochkonjunktur anstelle von Coca Cola und Hamburgern… Umbertos Läden in Norditalien jedenfalls laufen bestens, und so schlecht sieht es in Neapel auch nicht aus, hier haben wir eben eine andere Klientel.«
»Ich habe in der Zeitung gelesen, daß Sie jetzt die Läden übernehmen werden«, sagte Marlen. »Haben Sie daran gedacht, alles zu verkaufen?«
»Wieso denn das?« Fiorilla war erstaunt.
»Na ja«, sagte Marlen, »vielleicht um einfach mal etwas anderes zu machen, etwas Eigenes.«
»Soso, etwas Eigenes«, wiederholte Fiorilla nun unverhohlen spöttisch. »Haben Sie sonst noch Fragen?«
Marlen ließ sich nicht beirren. »Haben Sie einen Verdacht, wer Ihren Mann auf dem Gewissen haben könnte?«
»Auf dem Gewissen«, wiederholte Fiorilla verächtlich. »Keine Ahnung. Jeder Mensch hat Feinde. Ich, Sie, jeder von uns.«
»Denken Sie an eine bestimmte Person?«
»Einen Namen kann ich Ihnen nicht nennen. Und selbst wenn mir einer einfiele, würde ich ihn verständlicherweise nicht Ihnen nennen, sondern der Polizei.« Sie warf einen kurzen Blick auf die Uhr, um auch ohne Worte darauf hinzuweisen, daß das Gespräch sich dem Ende zuneigte.
»Und wie erklären Sie sich, daß Ihr Mann unter der Erde gefunden wurde?«
»Er wird eine unterirdische Weinquelle entdeckt haben«, sagte sie spöttisch. »Eine Nymphe.«
»Und die These, daß die Camorra etwas mit dem Mord zu tun hat?«
»Was wollen Sie hören?« fragte Fiorilla nun mit aggressivem Tonfall zurück und stand abrupt auf. »Was soll ich lieber antworten? Ja oder nein?« Sie klang aufgebracht, der Spott war verbraucht. »Ich habe keine Ahnung.«
Livia fragte, ob sie die Toilette benutzen dürfe, wurde den Flur entlang zur dritten Tür rechts geschickt. Fiorilla ging zum Fenster, blickte aufs Meer und drehte Marlen den Rücken zu.
Marlen räusperte sich, dachte an die Anspielungen, die Italo nebenbei hatte fallen lassen. Es war zwar eine Zumutung, eine Frau, deren Mann vor kurzem ermordet war, danach zu fragen, aber sie tat es trotzdem, zumal Fiorilla für einen Augenblick aus der Fassung zu schien. »Hatte Ihr Mann ein Verhältnis mit einer anderen Frau?«
»Natürlich«, sagte sie und drehte sich langsam wieder um. »Nicht nur eines.«
»Und Sie wußten davon?«
»Sicher«, nickte sie.
Das Telefon klingelte. Fiorilla ließ es klingeln.
»Sie haben keine Kinder?«
»Meines Wissens jedenfalls nicht.«
»Und hat es Ihnen nichts ausgemacht, ich meine, die anderen Frauen?« fragte Marlen weiter.
»Auch in der Beziehung waren wir flexibel«, antwortete sie gelassen und fragte dann mit leicht sägender Stimme: »Sie haben ihn nicht gekannt, sagten Sie am Telefon.«
»Ich bin nur eine Freundin von Salvatore, einem guten Freund Ihres Mannes.«
Fiorilla Cacciapuoti zeigte keinerlei Reaktion. Das Telefon hörte auf zu klingeln.
»Er war früher ein sehr enger Freund Ihres Mannes«, fügte Marlen hinzu und hoffte, der Groschen würde jetzt fallen. Doch die Witwe schüttelte den Kopf.
»Delle Donne«, ergänzte Marlen.
Ein Auflachen. »Nicht schlecht, der Name«, sagte Fiorilla. »So einen Namen vergißt man nicht. Wann soll das gewesen sein?« Ihr Blick war undurchdringlich.
»Als die beiden sehr jung waren, mit achtzehn, zwanzig«, sagte Marlen aufs Geratewohl.
Zu der Zeit habe sie ihren Mann noch nicht gekannt, sagte Fiorilla, sie seien sich erst mit Ende zwanzig über den Weg
Weitere Kostenlose Bücher