Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
im Alter von Anfang bis Mitte dreißig tauchten unter und aus dem Y 10 auf, an dem sie gerade herumfummelten.
»Zeitung oder Kripo?« fragte der Untersetzte kaugummikauend zurück und musterte die Frauen von Kopf bis Fuß. »Ich schätz mal Zeitung.«
Die Frauen nickten. Es hatte keinen Sinn, diesen Männern etwas vorzumachen. Entweder sie schickten sie weg, oder sie waren gesprächig. Zwischentöne gab es nicht.
»Sauerei«, sagte einer der Ölverschmierten unaufgefordert. »Hab’s heute morgen gelesen.«
»Ich hab’s doch immer gesagt: die Frauen bringen den noch mal unter die Erde«, sagte der andere.
»Scheißweiber«, bestärkte ihn der erste.
»Das verstehe ich nicht«, sagte Livia.
»Das versteht sie nicht«, wiederholte der Untersetzte amüsiert. »Habt ihr’s gehört?«
»Sie meinen, seine Frau hat ihn unter die Erde…?« sagte Livia mit aufgerissenen Augen.
»Ich meine gar nichts«, sagte der eine und sah seinen Kollegen an. »Hast du etwas gesagt?«
Der erste Mechaniker kratzte sich im Schritt. »Ich hab ihm immer gesagt, man kann rumfummeln so viel man will, aber wenn sie heißlaufen: Finger weg.«
»War sein Motor kaputt?« fragte Marlen.
Jetzt klopften sich die drei Automechaniker vor Begeisterung auf die Schenkel. »Im Gegenteil«, prustete der eine. »Gut gekontert, ragazza «, sagte der Untersetzte.
»Und was war nun mit den Frauen?« Marlen tat so, als komme sie nicht mit.
»Ja, was ist eigentlich mit den Frauen«, grinste der mit dem Schraubenschlüssel in der Hand. »Was glauben Sie denn?« Er sah Livia und Marlen herausfordernd an.
»Er hatte eine Menge Freundinnen«, sagte Livia unbeeindruckt.
»Stimmt.«
»Und seine Frau?«
Die Männer verschränkten die Arme vor der Brust. »Die läßt ihren Wagen woanders reparieren«, sagte der Untersetzte und schob das Kaugummi über die Zunge. »Kein Kundendienst. Mi dispiace. «
Nachdem sie die Autowerkstatt verlassen hatten, klapperten Livia und Marlen die anderen Geschäfte gegenüber des Palazzo Donn’Anna ab. Der junge Mann im Zeitungsladen tippte nur mit dem Finger auf das Titelblatt und wandte sich stumm dem nächsten Kunden zu. Die beiden Frauen in der Reinigung waren gesprächiger. Die Cacciapuoti seien ein vorbildliches Ehepaar gewesen. Aufgezählt wurden all die positiven Eigenschaften, die die meisten Menschen auch sich selbst gern andichteten. Eine andere Frau wiegte zweifelnd den Kopf, sagte aber nichts. Kein schlechtes Wort über Tote und Trauernde. Und die Bäckersfrau jammerte: »Es trifft immer die Falschen. Die Ehrlichen, die Anständigen, die niemandem etwas zuleide tun.«
21
Irgendwann in der Nacht läutete sich jemand per Telefon hartnäckig in Marlens Träume hinein. Voller Zorn über die Störung torkelte sie aus dem Bett zum Telefon. Marlen wunderte sich über Livias festen Schlaf. Sollte dies ein mieser Pubertätsscherz von Luzie sein? Oder ein Hilferuf? War etwas passiert? Sie erreichte das Telefon schon beim fünften Klingeln, doch als sie ein unfreundliches Pronto in die Muschel bellte, wurde am anderen Ende der Leitung aufgelegt. Telefonterror? Oder ein ehemaliger Liebhaber von Livia, der ein verschlafen hingehauchtes Livia- Pronto erwartet hatte? Die Tür zu Livias Zimmer stand offen. Aha. Die Verabredung mit Jean schien sich in die Länge zu ziehen. Marlen zog den Stecker aus der Wand, tappte zurück ins Bett und hoffte, daß die vielversprechenden Träume noch irgendwo über dem Kopfkissen schwebten und sich ihr erneut offenbaren würden.
Am anderen Morgen setzte sie noch im Schlafanzug die Espressokanne auf, trank wie immer ein Glas Leitungswasser und bediente sich aus der aufgerissenen Packung Dolci del Mattino. Längst hatte sie die deutschen Langzeitfrühstücksgewohnheiten mit Brot, Butter, Marmelade oder gar Müsli abgelegt. Livias Tür stand noch immer offen. Sie war vermutlich direkt von ihrem Rendezvous zur Arbeit gefahren, Marlen schaltete das Radio ein. Notizen vom Sport, Wetterbericht, dazwischen eine Sequenz hysterisches Reklamegeplapper, im Ausland erträglicher, weil es exotischer klang. Es war kurz nach acht. Sie reckte sich und beschloß, eine Runde laufen zu gehen.
Es war noch früh, und die Straßen relativ leer. Selbst der Tabakladen war noch geschlossen. Die Luft war klar, es würde ein lauer Frühlingstag werden, gerade richtig, um am Nachmittag in der Villa Floridiana hinter dem Porzellanmuseum auf den Stufen in der Sonne zu sitzen, zu lesen, zu schauen. Kinder würden
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