Der Tote vom Kliff
Weggang von Frau Dobermann
personelle Engpässe in Flensburg. Das dortige K1 – nun sagen Sie nicht gleich
wieder ›Mordkommission‹ – ist mit dem spektakulären Fall in Schleswig
beschäftigt. Und die Husumer möchte Dr. Starke nicht gern ermitteln lassen.«
»Da gibt es viele persönliche Animositäten«, gab Lüder
zu bedenken. »Starke – pardon! – Dr. Starke neidet den Nordfriesen deren
Ermittlungserfolge. Der Fall Gruenzweig ist also so brisant, dass er ans LKA abgeschoben werden soll.«
»Noch gibt es keine Entscheidung von oben. Ich gehe
davon aus, dass sich zudem verschiedene Ministerien einmischen werden. Ab heute
Mittag wird der Mord an Lew Gruenzweig in allen Medien weltweit hochgekocht.
Das wird sich nicht vermeiden lassen.«
»Dann ist der Wirtschaftsminister doppelt involviert«,
überlegte Lüder laut. »Zum einen, weil die internationale Finanzwelt nach
Schleswig-Holstein schaut, zum anderen ist er aber auch für den Tourismus im
Lande zuständig. Und wie kann man das Land zwischen den Meeren auffälliger in
aller Munde bringen?«
Der Kriminaldirektor schüttelte leicht den Kopf,
unterließ es aber, den ihm bekannten Zynismus Lüders zu kommentieren. »Ich bin
mir noch nicht schlüssig, ob das ein Fall ist, für den wir uns zuständig
erklären sollten«, sagte Nathusius. »Ich denke, eine Sonderkommission wäre
angebrachter. Wie wäre es, wenn Sie die Leitung übernehmen würden?«
»Da wäre ich nicht glücklich«, erwiderte Lüder.
»Schön.« Nathusius spitzte die Lippen und zeigte ein
spitzbübisches Lächeln. »Sie sind zudem verhindert, weil Sie an den
Gefährdungsanalysen arbeiten.«
»Ich könnte vielleicht unabhängig von der Sonderkommission
ein paar Erkundigungen einziehen«, überlegte Lüder laut.
»Nach den schlechten Erfahrungen, die Sie mit
brisanten Fällen in der Vergangenheit gemacht haben, würde ich davon abraten.«
»Man sollte persönliche Interessen hinter das
Gemeinwohl stellen. Ich bin Polizist geworden, weil in mir ein gewisses
Gerechtigkeitsgefühl schlummert. Sonst hätte es im öffentlichen Dienst sicher
auch viele andere Verwendungsmöglichkeiten für einen Juristen gegeben.«
»Was macht eigentlich Ihre Promotion?« Nun hatte der
Kriminaldirektor doch danach gefragt.
»Das kostet viel Zeit«, antwortete Lüder.
»Und die haben Sie seit vielen Jahren nicht«, sagte
Nathusius und trug damit nur das vor, was Lüder seit Langem als Entschuldigung
vorbrachte.
Lüder verabschiedete sich. Auch wenn der
Kriminaldirektor verbal etwas anderes von sich gegeben hatte, war Lüder
beauftragt, sich des brisanten Falls anzunehmen.
Die kleinste Polizeidirektion des Landes war in dem
Dienstgebäude gegenüber dem Husumer Bahnhof untergebracht. Der langgestreckte
Bau aus grauem Putz wurde aufgelockert durch die zahlreichen Pflanzen, die von
den Mitarbeitern der Behörde hinter den Fenstern gehegt wurden.
Lüder hielt auf der Rückseite des Gebäudes und warf
einen Blick auf den Wohnblock einer Seitenstraße, dessen Rückfront in einem ins
Auge stechenden Ochsenblutrot gestrichen war. Lüder musste lächeln. Auch wenn
er sicher keinen Einfluss auf diese außergewöhnlich kräftige Farbgestaltung
gehabt hatte, aber in diesen Häusern wohnte Große Jäger. Es passte einfach zu
diesem Mann.
Kurz darauf stand er dem Oberkommissar gegenüber.
Große Jäger saß in einem Büro mit drei Schreibtischen, von denen einer verwaist
schien. Er hatte seine Füße in gewohnter Weise in der herausgezogenen Schublade
des Schreibtisches geparkt und blies kunstvoll Ringe in die Luft.
Auf Lüders »Moin« schwenkte der Oberkommissar zur
Begrüßung andeutungsweise seine Hand mit dem Glimmstängel. Dann drehte er sich
halb nach hinten und brummte über die Schulter: »Das ist Kiel, Christoph.«
»Moin, Herr Lüders«, grüßte ihn Christoph Johannes,
der sich von seinem Platz erhoben hatte. Er wies auf den Besucherstuhl an
seinem Schreibtisch und bot Lüder Platz an.
»Hallo, Wilderich«, nickte Lüder in Große Jägers
Richtung.
»Herr Lüders«, knurrte der zwischen den Zähnen hervor.
Aus einem unerfindlichen Grund war der Oberkommissar stets beim »Sie«
geblieben, obwohl Lüder ihm im vergangenen Jahr bei einem gemeinsamen brisanten
Einsatz das Du angeboten hatte.
»Wie geht es der Familie?«, fragte Große Jäger, der
damals ein paar Tage in Lüders Haus gewohnt hatte.
Lüder berichtete von zu Hause, von der sich prächtig
entwickelnden Jüngsten und natürlich von
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