Der Tote vom Kliff
Blick das Aussehen
eines jener Models, die die Titelblätter von Lifestylemagazinen zierten.
Christoph Johannes ging auf den Mann zu. Aus den
Augenwinkeln registrierte er eine hinter den Einsatzfahrzeugen abgestellte
schwarze Corvette.
»Moin«, begrüßte er den Mann.
»Grüß Gott«, erwiderte der, ohne Anstalten zu
unternehmen, sich vom Tor zu lösen.
»Ach du Schreck, so einer «, entfuhr es Große
Jäger, der mit einem Schritt Abstand gefolgt war.
»Polizei Husum. Mein Name ist Johannes.«
Der Blonde musterte Christoph Johannes mit einem
beinahe spöttischen Blick, ohne etwas zu sagen.
»Den Kollegen ist aufgefallen, dass Sie sich offenbar
für dieses Gebäude interessieren.«
»So?«, fragte der Blonde und spitzte dabei die Lippen.
»Trifft das zu?«
»Ich bin hier entlang, habe gewendet, und wenn
irgendwo die Polizei steht, wirft man einen interessierten Blick darauf. Ist
das verboten?«
»Kennen Sie die Bewohner dieses Hauses? Oder Gäste?«
»Wenn Sie mir Namen nennen – vielleicht. Noch besser
wäre ein Bild. Vielen begegnet man bei irgendwelchen Gelegenheiten – hat einen
Drink miteinander. Ist das Kennen nach Ihrem Verständnis?«
»Was wollten Sie hier?«, mischte sich Große Jäger ein.
»Die Straße ist eine Sackgasse. Keine Durchgangsstraße.«
Der Mann löste sich von der Pforte und drehte auf dem
wohlmanikürten rechten Zeigefinger seine Autoschlüssel.
»Ist das Ihr Fahrzeug?«, fragte Große Jäger.
Der Blonde sah den Oberkommissar von oben herab an.
»Suchen Sie Autodiebe? Das ist meiner. Und ich habe ihn nicht als gestohlen
gemeldet. Kann ich jetzt weiter?«
»Einen Moment«, bat Große Jäger. »Reine Routine. Wir
würden gern Ihre Fahrzeugpapiere kontrollieren.«
»Kein Problem«, sagte der Mann und ging mit wiegendem
Schritt zu seinem Sportwagen. Er öffnete den Wagen und holte aus der
Seitentasche eine helle lederne Brieftasche hervor, fischte Führerschein und
Zulassung heraus und reichte beides dem Oberkommissar.
Große Jäger prüfte die Papiere. Der Mann hieß
Hans-Martin Hollergschwandtner und war fünfunddreißig Jahre alt. Als Wohnsitz
war Penzberg in Oberbayern eingetragen. Die Halterangaben im Fahrzeugschein
stimmten mit den Angaben überein. Und das Kennzeichen » WM « stand für den Kreis Weilheim-Schongau. Große Jäger gab
die Dokumente zurück und sah Hollergschwandtner nach, der in die Corvette stieg
und den Sportwagen mit dem satten Sound Richtung Kampener Ortsmitte davonrollen
ließ.
»Hast du Name und Anschrift?«, fragte Christoph
Johannes, als Große Jäger zurückkehrte.
Der Oberkommissar nickte. »Was war das für ein
Vogel?«, fragte er mehr sich selbst und sah Paulsen, den Insulaner, an. »Kennst
du den?«
»Hast du eine Vorstellung, wie viele Fremde hier auf
Sylt sind?«, antwortete der Hauptkommissar mit einer Gegenfrage.
»Ich werde mich über den Typen erkundigen. Entweder
ist das ein Nabob, der hier die Zeit totschlägt und Papis Geld durchbringt,
oder es ist der Zuhälter der Dame, die die Pelzjacke zurückgelassen hat.«
* * *
Ein heftiger Schauer ging über Kiel nieder.
Es war dunkel geworden, und der Regen klatschte gegen die Fensterscheiben. Der
Mann mit den verwuschelten blonden Haaren sah kurz auf, warf einen Blick in das
trübselige Grau hinaus, schüttelte den Kopf, als er daran dachte, dass für die
Westküste gutes Wetter angekündigt worden war, und kehrte dann zum Studium der
Akte auf seinem Schreibtisch zurück. Mechanisch tastete sich seine rechte Hand
über die Arbeitsfläche, bis sie an die Kaffeetasse stieß. Er nahm den Griff
zwischen Daumen und Zeigefinger, führte das Trinkgefäß an den Mund und leerte
den Rest des Inhalts. Die Hand kehrte zur offenen Akte zurück, und der
Zeigefinger fuhr im Leserhythmus am Rand des Papiers abwärts.
Kriminalrat Lüder Lüders saß an einer
Gefährdungsanalyse für die Mitglieder der Landesregierung. Besonders der
joviale und sich volksnah gebende Landesvater, der keine Eröffnung eines
Kindergartens, das Jubiläum einer Altentagesstätte oder die Einweihung eines neu
geteerten Feldweges ausließ, stand im Blickpunkt der Personenschützer des
Dezernats 31. Missmutig erledigte Lüder die ungeliebte Schreibtischarbeit, zu
der ihn der Leiter der Abteilung 3 des Landeskriminalamts in Kiel mit sanftem
Druck genötigt hatte. Kriminaldirektor Jochen Nathusius stand dieser Einheit
des LKA vor, deren Aufgabe der
Polizeiliche Staatsschutz war. Nathusius hätte es gern gesehen, wenn
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