Der Tote vom Kliff
war der
Mann so hilfsbereit, dass er erneut zwei Telefongespräche führte und
schließlich die Mobilfunknummer Balzkowskis herausfand.
Lüder wählte die Nummer an. Es meldete sich aber nur
die Mobilbox. Er ging davon aus, dass Frau Balzkowski ihren Mann umgehend
angerufen und über Lüders Besuch informiert hatte.
»Ich muss auf das Werksgelände«, erklärte Lüder. »Dazu
benötige ich aber einen ortskundigen Führer.«
Der Pförtner holte tief Luft. »Wenn man jeder Besucher
so Sonderwünsche haben tut, komm ich zu nix was«, stöhnte er, kam aber Lüders
Bitte nach.
Es dauerte gut zehn Minuten, bis ein Mann in einem
kurzen blauen Kittel erschien, unter dem er ein weißes Hemd und eine Krawatte
trug.
»Horst Poßneck«, stellte er sich vor und ließ sich von
Lüder den Dienstausweis zeigen. »Was wollen Sie denn von Balzkowski?«
»Es geht um eine wichtige Zeugenvernehmung«, sagte
Lüder ausweichend.
Poßneck schüttelte ungläubig den Kopf. »Und dafür
kommt sogar ein äh … Kriminalrat war doch richtig? Also ein Kriminalrat aus
Kiel. Was ist das denn für ein Fall?«
»Sie haben sicher Verständnis dafür, dass ich das
vertraulich behandeln muss.«
»Das muss eine heiße Kiste sein«, sagte Poßneck und
zeigte auf einen gelben Schutzhelm. »Den müssen Sie aufsetzen, sonst geht es
hier nicht weiter für Sie.«
Lüder stülpte sich den Helm über und unterschied sich
jetzt mit der Kopfbedeckung nicht von seinem Führer und den anderen Leuten auf
dem Werksgelände.
Poßneck zeigte auf zwei rostfarben lackierte, schon
arg ramponierte Fahrräder. »Die stehen hier überall herum. Das Gelände ist so
weitläufig, da schnappt sich jeder ein Rad und fährt zu seinem Ziel. Dort nimmt
sich ein anderer das Ding. Das klappt gut.« Dann schwang er sich auf das
Zweirad, und Lüder folgte ihm.
Lüder war überrascht, dass es inmitten der grauen und
sogar ein wenig verkommen wirkenden Gebäude immer wieder grüne Inseln gab, ein
paar Bäume, eine Buschgruppe, ein kleines Stück Rasen, wo Bänke zum kurzen
Verweilen einluden.
Lkw, Gabelstapler, Lieferwagen, Spezialfahrzeuge – es
herrschte ein reges Durcheinander auf dem Gelände.
Poßneck steuerte ein repräsentatives Gebäude an, vor
dem ein Park mit großen knorrigen Bäumen alles andere als ein tristes
Industrieambiente zeigte. »Hauptverwaltung«, stand auf dem Schild vor dem Haus
mit der gegliederten Fassade und den Sprossenfenstern.
Lüders Führer lehnte das Rad gegen ein Schild, und
Lüder nahm die wenigen Stufen der Freitreppe zum Eingang. Poßneck suchte ein
Büro in einem Seitenflügel auf, dessen Türschild verkündete, dass hier »Lothar
Balzkowski. Betriebsrat« seinen Arbeitsplatz hatte.
Nach einem Pro-forma-Anklopfen standen sie in einem
leeren Büro, obwohl auf dem Monitor ein Bildschirmschoner lief und auf dem
Schreibtisch Papiere lagen. Sogar eine halb volle Tasse Kaffee stand dort.
Lüder fasste an das Trinkgefäß. Es war noch lauwarm.
»Wo kann er sein?«, fragte er.
»Wie soll ich das wissen?« Poßneck klang ein wenig
mürrisch. »Sie haben selbst gesehen, wie groß das Gelände ist.« Er ging in das
benachbarte Büro und fragte eine für Lüder unsichtbare Frau, wo Balzkowski sei.
»Das ist nicht aussagekräftig«, erklärte er anschließend Lüder. »Müssen Sie ihn
so dringend sprechen?«
Lüder bestätigte die Notwendigkeit. »Kommen Sie«,
knurrte Poßneck ungehalten und warf einen demonstrativen Blick auf seine
Armbanduhr.
Sie verließen das Verwaltungsgebäude und schwangen
sich auf die beiden Fahrräder. Der Weg führte sie durch ein für Lüder nicht
nachvollziehbares Tohuwabohu von Industrieanlagen, verkommen wirkenden Gebäuden
mit vor Schmutz blinden Fenstern, bei denen nicht Holz-, sondern Eisenbalken
als ›Fachwerk‹ die Ziegelmauern trugen.
Poßneck hielt vor einem ebenerdigen Haus. »Hier sind
die Umkleideräume für einen Teil der Stahlkocher«, erklärte er Lüder. »Dort
gibt es auch einen bewirtschafteten Aufenthaltsraum. Balzkowski wollte mit ein
paar Leuten sprechen.«
Der Flur war in trister Ölfarbe gestrichen, die an
vielen Stellen von den Wänden abblätterte. Eine nackte Neonröhre an der Decke
spendete kaltes Licht. Zwei Arbeiter kamen ihnen entgegen und drückten sich im
schmalen Gang an die Wand.
»Habt ihr Balzkowski gesehen?«, fragte Poßneck.
Der ältere der beiden nickte. »Jo. Der war hier.«
»Wo ist er hin?«
»Keine Ahnung. Er ist vielleicht zwei Minuten weg.«
»Den finden wir
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