Der Tote vom Kliff
bein Arzt.«
»Was für ein Arzt?«
Frau Balzkowski sah ihre Tochter an, die sich gegen
die Spüle gelehnt hatte und dem Gespräch lauschte. »Wie heißt das noch, was Dr.
Mattner macht? Richtig. Gastroenterologe. Das ist alles mit Magen und Darm und
so. Da geht Lothar auch hin. Mann, der hat immer ein Bammel davor. Tage vorher
is er nich zu gebrauchen. Der lässt sich auch immer betäuben.«
»Kommt Ihre Schwägerin an die Medikamente?«
Frau Balzkowski sah Lüder kurz an, dann ihre Tochter.
»Woher soll ich das wissen?«, sagte sie rasch.
Die Frau sprach nicht die Wahrheit, stellte Lüder für
sich fest.
»Ihr Mann ist großen Belastungen ausgesetzt und trägt
eine hohe Verantwortung. Ich kann mir vorstellen, dass er oft völlig geschafft
nach Hause kommt.«
Frau Balzkowski stieß einen Stoßseufzer aus. »Da haben
Sie wohl recht. Dann wälzt er sich die ganze Nacht und kann nicht schlafen.«
»Und da er keinen Schlummertrunk zu sich nimmt, ist es
doch natürlich, eine Schlaftablette einzunehmen«, sagte Lüder.
»Irgendwann helfen die aber nicht mehr.«
»Darum hat ihm ihre Schwägerin ein stärkeres Mittel
mitgebracht?«
»Ja – nein.«
»Frau Balzkowski, das interessiert mich nicht. Deshalb
bin ich nicht hier. Ist es ein Mittel, das in der Praxis auch zum Sedieren
benutzt wird?«
Als ihn die Frau ratlos ansah, ergänzte Lüder: »Zur
Beruhigung der Patienten bei Magen- und Darmspiegelungen.«
»Ich glaube schon«, antwortete Frau Balzkowski, bevor
Lüder sich verabschiedete.
Lüder ließ sich von seinem GPS -System leiten. Er war es gewohnt, viel zu reisen und
sich neue Regionen zu erschließen, aber das Ruhrgebiet mit seinem dichten
Straßennetz und dem hohen Verkehrsaufkommen unterschied sich doch erheblich von
Schleswig-Holstein und der Metropolregion Hamburg.
Unterwegs rief er Große Jäger an.
»Auf der Tatwaffe, mit der Dr. Laipple erschossen
wurde, hat die Spurensicherung Fingerabdrücke feststellen können, zu denen wir
keine Übereinstimmung mit unserer Datei gefunden haben.«
»Stimmt.«
»Ist Lothar Balzkowski eigentlich erkennungsdienstlich
behandelt worden?«
Es dauerte einen Moment, bevor Große Jäger antwortete: »Ich gehe davon aus.«
»Hast du das veranlasst?«
»Das erste Mal haben wir gemeinsam mit ihm auf Sylt
gesprochen. Das zweite Gespräch fand dann in der Husumer Polizeidirektion
statt.«
»Wann ist Balzkowski erkennungsdienstlich behandelt
worden?«, fragte Lüder erneut.
»Da müsste ich nachfragen«, wich Große Jäger aus.
Lüder seufzte. »Gestehen wir es uns ein: Da ist uns
eine Panne unterlaufen.«
Große Jäger räusperte sich. »Wenn Sie so etwa sagen,
gibt es einen konkreten Verdacht.«
Lüder war nicht über den Scharfsinn des Oberkommissars
überrascht. Große Jäger wurde wegen seines äußeren Erscheinungsbilds von
anderen häufig unterschätzt.
»Lothar Balzkowski kennt Sylt durch zahlreiche
Urlaube. Seine Frau sagte, er würde besonders List kennen und schätzen, zum
Beispiel die Dünen, wo Laipple erschossen wurde. Wenn Balzkowski wirklich mit
List und der Umgebung vertraut ist, wird er auch den Urwald kennen, wo wir die
Tatwaffe gefunden haben.«
»Das allein rechtfertigt aber noch keinen
Tatverdacht«, gab Große Jäger zu bedenken.
»Ich glaube, mit den Fingerabdrücken werden wir ein
stichhaltiges Indiz haben. Ein Tatmotiv hätten wir auch. Fixemer und Balzkowski
sind beide engagierte Kämpfer für die Interessen der Arbeitnehmer. Fixemer war
nahezu verzweifelt, weil nicht nur seine Kollegen betroffen waren, sondern eine
Schließung von Noskemeier auch ihn persönlich betroffen hätte. Seine Kinder
gehen noch zur Schule, das Haus ist noch nicht bezahlt, und er wusste, dass er
in seinem Alter kaum Aussichten auf einen neuen Job hatte. Seine persönliche
wirtschaftliche Lage scheint ohnehin seit Langem sehr angespannt gewesen zu
sein.«
»Ein Mann mit seinem Verantwortungsbewusstsein stiehlt
sich doch nicht ohne Weiteres davon.«
»Wir haben erfahren, dass er zuvor wegen Depressionen
in ärztlicher Behandlung war. Und als ihn Oberstaatsanwalt Brechmann als
mutmaßlichen Mörder öffentlich anprangerte und sein Konterfei in der
›Tagesschau‹ erschien, da ist das Fass übergelaufen.«
»Einen juristischen Tatbestand für das, was Brechmann
gemacht hat, gibt es wohl nicht«, sagte Große Jäger mehr zu sich selbst. »Aber
hatte Brechmann nicht recht? Balzkowski hat Laipple erschossen. Und wir gehen
davon aus, dass Fixemer der Mörder
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