Der Tote vom Kliff
zu
sprechen.
»Das ist vertraulich.«
»Bei Mord gibt es keine Vertraulichkeiten.«
Dr. Laipple wendete den Blick ab und sah durch das
große Fenster in den Garten, der inselgerecht einen eher rustikalen Eindruck
machte und von mächtigen Heckenrosenbüschen und einer Handvoll Krüppelkiefern
geprägt war. Im Profil sah Lüder, wie abgespannt der Mann aussah. Wenn der
ganze Glanz dieses Anwesens, des Reichtums und der gesellschaftlichen Stellung
für viele Menschen auch erstrebenswert schien und Neid förderte, war es sicher
auch ein hoher Preis, den Dr. Laipple dafür zu entrichten hatte.
»Wir wollten Gedanken austauschen. Ergebnisoffen«,
sagte der Bankmanager nach einer Weile.
»Detaillierter.«
Dr. Laipple schüttelte den Kopf. »Brainstorming. Ohne
Fahrplan.«
Sie wurden durch Frau Merckel unterbrochen, die den
Kaffee brachte. Lüder war nicht überrascht, als ihm das Getränk in
Flora-Danica-Geschirr der Königlich Dänischen Porzellanmanufaktur serviert
wurde.
»Nein!«
Zum ersten Mal schien der Bankmanager aus seinem
Konzept zu geraten. Lüder erkannte es am leichten Zucken der Augenbraue. Dr.
Laipple war es sicher nicht gewohnt, dass ihm widersprochen wurde. So
überraschte es Lüder nicht, dass der Mann eine Reaktion zeigte, die einem guten
Pokerspieler nicht widerfahren durfte.
»Was meinen Sie damit?«, fragte der Manager, nachdem
Lüder sein »Nein« ohne Erklärung im Raum stehen ließ.
Statt zu antworten, nahm sich Lüder die Zeit, um mit
dem Löffel im Kaffee zu rühren, bedächtig nach der Tasse zu greifen, zunächst
vorsichtig einen Schluck zu nehmen, dann in das Trinkgefäß zu starren, als
würde er das Rubinrot eines edlen Rotweins prüfen, bevor er erneut die Tasse an
die Lippen hob und sie dann wieder absetzte. Danach maß er Dr. Laipple mit einem langen Blick.
»Ich glaube Ihnen nicht.«
Sein Gegenüber hob fragend eine Augenbraue in die
Höhe.
»Sie gehen nicht ohne Konzept in ein Gespräch mit Lew
Gruenzweig. Es war auch kein Treffen von Männerfreunden.«
Dr. Laipple griff zum Bierglas, auf dem die Schaumkrone
inzwischen eingefallen war. Er stellte das Glas wieder ab und rief halblaut: »Gabriele!« Nur einen Herzschlag später tauchte die Hausdame auf.
Der Manager wies auf das Glas, das Frau Merckel
kommentarlos abräumte und ein paar Minuten später durch ein frisch gezapftes
Bier ersetzte.
Die Zwischenzeit verbrachten die beiden Männer
schweigend. Erst als Dr. Laipple getrunken hatte, antwortete er.
»Es gehört zu meinem Tätigkeitsfeld, mit bedeutenden
Männern dieser Welt Gedanken auszutauschen. Dazu bedarf es nicht jedes Mal
eines konkreten Anlasses.«
»Darf ich an Ihren Gedanken teilhaben?«, fragte
Lüder.
»Die sind zu vielschichtig, um sie in wenigen Worten
abgerundet präsentieren zu können.«
Lüder lehnte sich entspannt zurück. »Ich bin es
gewohnt, eine ›Management Summary‹ zu verstehen. So nennen Sie doch die
Zusammenfassung komplexer Sachverhalte, die Ihnen Ihr Stab ausarbeitet, da Sie
gar nicht die Zeit haben, sich mit den Details auseinanderzusetzen, in denen
sich oftmals aber viele Einzelschicksale verbergen.«
»Wollen Sie mit mir eine gesellschaftskritische
Diskussion führen?« Dr. Laipples Stimme hatte an Schärfe gewonnen.
»Ich will dem Gesetz zu seinem Recht verhelfen. Ein
Mensch ist ermordet worden. Stellen Sie sich die Schlagzeile in der
Boulevardpresse vor, wenn dort Mutmaßungen über Geheimabsprachen kursieren. Sie
wissen ebenso wie ich, dass in manchen Presseorganen Gerüchte lanciert werden,
deren spätere Richtigstellung niemanden mehr interessiert, wenn nur die erste
Meldung reißerisch genug war.«
Dr. Laipple spitzte die Lippen, als würde er über
Lüders Argument spöttisch schmunzeln wollen.
»Soll das eine Drohung sein?«
»Sind Sie schon einmal von einem Polizisten bedroht
worden?«
Der Manager trank einen Schluck, bevor er die Augen
zusammenkniff und Lüder ansah. Dann zeigte er zum Fenster hinaus.
»Sehen Sie die Katze dort? Sie frisst Mäuse. Das ist
ihr von Natur aus mitgegeben. Niemand regt sich darüber auf.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Ist das nicht der Beweis dafür, dass in der
gottgewollten Welt nicht alle Lebewesen gleich sind? Manche sind Jäger, andere
sind Opfer. Nehmen Sie die Machtkämpfe in der Brunft. Nur einer kann Führer des
Rudels sein. In der Natur setzt sich nur der Stärkste durch.«
»Der Verweis auf die Brunft klingt sehr merkwürdig. Soll
ich daraus ableiten, dass
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