Der Tote vom Kliff
Sonderkommission ermittelte. Der Ärger war
ohnehin vorprogrammiert.
Es summte leise, und die Pforte schwang ohne Lüders
Zutun zurück. Zunächst schien es, als würde Große Jäger folgen, dann blieb der
Oberkommissar aber doch mit einem vor sich hingemurmelten Fluch stehen. Lüder
hatte die Worte nicht verstanden. Mit Sicherheit war es nicht druckreif
gewesen.
Lüder ging den kurzen Weg bis zur repräsentativen
Friesentür, als ihn die immer noch unsichtbare Stimme anwies, den Seiteneingang
zu benutzen. Dort erwartete ihn ein drahtig wirkender Mann, der sich als
Meyerlinck vorstellte und für Dr. Laipples Personenschutz verantwortlich
zeichnete.
Meyerlinck ließ sich noch einmal Lüders Dienstausweis
zeigen und führte ihn durch das Haus. Sie durchquerten das geräumige
Wohnzimmer, und Lüder warf einen Blick durch die jetzt offenen
Glasschiebeelemente, die zum Pool im Atrium führten, in dem Gruenzweig ermordet
worden war. Das hatte er den Akten und Große Jägers Bericht entnommen.
Aus dem Nichts tauchte eine mit schlichter Eleganz
gekleidete Frau auf. Sie mochte um die vierzig sein, obwohl das Schätzen des
Alters in Anbetracht ihrer gepflegten Erscheinung schwierig schien. Die blonden
Haare hatte sie zu einem Knoten im Nacken gebunden.
»Das ist Frau Merckel«, stellte Meyerlinck vor und zog
sich diskret zurück.
»Darf ich nach Ihrer Funktion in diesem Haus fragen?«,
erkundigte sich Lüder und musterte die Frau mit einem forschenden Blick vom
Scheitel bis zur Sohle. Er überlegte, ob das die Besitzerin des Hermelincapes
sein könnte.
»Ich bin die Hauswirtschafterin«, sagte Frau Merckel
mit einer angenehmen Stimme, die die fränkische Herkunft nicht leugnete.
»Ist das nicht Frau Feddersen?«
Sie deutete ein Lächeln an. »Frau Feddersen ist für
die Pflege des Hauses zuständig. Ich kümmere mich um die Haushaltsführung.«
»Wie darf ich das verstehen? Sind Sie mit Herrn Dr.
Laipple … äh … enger bekannt?«
»Ich erklärte es bereits«, wich sie aus und wies mit
ihrer schlanken Hand in den hinteren Teil des Gebäudes. »Hier bitte.«
Er folgte der Frau und stand kurz darauf in einem fast
mediterran eingerichteten Raum, der zum Garten führte. In einem Korbsessel saß
Dr. Friedemann Ambrosius Laipple, einer der mächtigsten Wirtschaftsführer der
Republik.
»Nehmen Sie Platz«, lud er Lüder ein. Der Bankmanager
machte weder Anstalten, sich zu erheben, noch Lüder die Hand zu reichen. Er
hatte die Beine übereinandergeschlagen und zupfte mit zwei Fingern an der
messerscharfen Bügelfalte der dunkelgrauen Hose mit den dezenten Nadelstreifen.
Das passende Sakko lag achtlos über der Lehne eines weiteren Stuhls. Immerhin
hatte Dr. Laipple die Weste und das blütenweiße Hemd anbehalten, wenn die
Krawatte auch am Hals gelöst war.
»Gabriele, würden Sie dem Herrn etwas zu trinken
bringen?«, bat er Frau Merckel.
»Kaffee, bitte«, ergänzte Lüder.
Geräuschlos verließ die Hausdame den Raum. Dr. Laipple
lehnte sich zurück und griff entspannt zu einem Glas Bier, das auf einem
kleinen Tisch neben seinem Sitzplatz abgestellt war. Als er Lüders Blick
gewahrte, lächelte er leise.
»Ich erlaube mir diese kleine Entspannung außerhalb
des Protokolls.« Er streckte den linken Arm vor und warf einen Blick auf die
Armbanduhr mit dem Lederarmband. Lüder glaubte, eine »Lange und Söhne« aus
Glashütte erkannt zu haben. »Meine Zeit ist knapp bemessen. Kommen wir deshalb
ohne Umschweife zum Kern. Lew Gruenzweig ist in meinem Haus ermordet worden.«
Lüder nickte. »Wann und wie haben Sie davon Kenntnis
erhalten?«
»Ich verfüge über einen Stab, der mich über
Wesentliches auf dem Laufenden hält.«
»Wann?«
»Durch mein Sekretariat. Die Putzfrau hat dort
angerufen.«
»Frau Feddersen.«
»Heißt sie so? Ich habe meine Tagesplanung geändert
und bin hierhergeflogen.«
»Mit einer privaten Chartermaschine. Direkt aus
Frankfurt?«
Dr. Laipple unterließ es, auf aus seiner Sicht
Selbstverständliches zu antworten.
»Sie wussten von Lew Gruenzweigs Aufenthalt in Ihrem
Haus?«
»Er war mein Gast.«
»Wann ist er eingetroffen?«
»Vorgestern.«
»Am selben Abend ist er ermordet worden.«
Dr. Laipple erwiderte nichts.
»Waren Sie verabredet?«
»Heute.«
»Sie sagten eben, Sie hätten Ihren Tagesplan
geändert?«
»Ich wäre erst gegen Abend eingetroffen.«
»Was war der Grund Ihrer Verabredung?«
»Geschäftlich.«
»Genauer.« Lüder ging auch dazu über, stakkatohaft
Weitere Kostenlose Bücher