Der Tote vom Kliff
Beamten
der Kommission allen noch so vagen Vermutungen nachgehen. Es war das mühsame,
von den Medien und der Bevölkerung oft nicht verstandene Stochern im Dunkeln,
zäh und zeitaufwendig, nervenzermürbend, insbesondere wenn sich – wieder einmal
– eine verfolgte Spur als Sackgasse erwies. Das bedeutete, dass an einer
anderen Stelle des Knäuels der Faden wiederaufgenommen und in eine andere
Richtung verfolgt werden musste.
Jedenfalls fand sich in der Ermittlungsarbeit der
Kommission noch keine andere »heiße Spur« als Hubert Fixemer.
Die drei Beamten fuhren zur Maschinenfabrik Noskemeier
GmbH. Die schmale Straße, in der Fixemer wohnte, mündete vor einem der für
Neumünster typischen schlichten Arbeiterhäuser in die Jungmannstraße. Kurz
darauf hatten sie die Hauptstraße erreicht, und an der nächsten Ampel musste
Lüder warten. Im Hintergrund bot der alte Wasserturm eine reizvolle Perspektive
aus vergangenen Zeiten. An die wurden die Beamten auch erinnert, als sie wenig
später die lang gestreckten Gebäude des ehemaligen Ausbesserungswerks
Neumünster der Bundesbahn passierten. Lüder wusste, dass sich dahinter das
große Areal heute nur noch wenig genutzter Gleisanlagen verbarg.
»Neumünster ist ein Beispiel dafür, wie eine einst
lebendige Industriestadt ohne Eigenverschulden um die Früchte der Arbeit
gebracht wurde«, sagte Lüder.
Große Jäger nickte versonnen. »Die Stadt liegt im
Herzen des Landes, aber an dem wurde viel operiert. Neumünster war nie eine
reiche Stadt, sondern hatte immer den Ruf einer fleißigen Arbeiterstadt. Und
heute? Die Messehalle, Verkehrsknotenpunkt und die Anfänge einer neuen
Industrialisierung …«, zählte der Oberkommissar auf.
»Da gäbe es noch mehr«, wandte Lüder ein.
»Sicher«, knurrte Große Jäger. »Der Knast.«
Sie durchquerten das Stadtzentrum, den Großflecken,
auf holprigem Kopfsteinpflaster und fanden sich kurz darauf im Gewerbegebiet
Süd wieder. Es hatte leicht zu regnen begonnen, und im tristen Grau sah das
Areal so trostlos aus wie viele Industriegebiete.
»Weserstraße«, las Große Jäger das Straßenschild laut
vor. »Ob das an der Feuchtigkeit liegt, dass man aus einer Straße gleich einen
Fluss macht?« Der Oberkommissar bekam glänzende Augen, als er an der Kreuzung
zum Krokamp den Pesel entdeckte. Das rot geklinkerte Haus mit dem flachen
Walmdach und der Leuchtreklame von »Cola« und »Pausentreff« lockte mit einem
großen Schild »Mittagstisch«.
»Dort gibt es aber kein Fast Food«, sagte Lüder mit
spöttischem Unterton.
»Wetten, dass die Pommes und Currywurst haben?«,
erwiderte der Oberkommissar und sah sehnsüchtig zurück, als Lüder auf den
großen Parkplatz gegenüber dem Firmengelände von Noskemeier abbog. Von außen
sah das modern gestaltete Gebäude nicht wie eine Maschinenfabrik aus.
Die resolut auftretende Frau am Empfang schien nicht
überrascht, als die drei Polizisten um ein Gespräch mit der Geschäftsleitung
baten.
Kurz darauf wurden die Beamten in das Büro des
Geschäftsführers geführt. »Günter Hartwig«, stand auf dem Schild an der Tür,
kein ergänzender Zusatz, der auf die Position des Mannes schließen ließ.
Außerdem führte der Zugang zu seinem Büro direkt vom Flur ab, ohne durch ein
Vorzimmer gefiltert zu werden.
Hartwig war ein untersetzter Endfünfziger mit dunkler
Hornbrille, Pausbacken und deutlich erkennbaren dritten Zähnen. Er trug einen
über dem Bauch leicht spannenden grauen Anzug, der deutlich als Konsumware zu
erkennen war. Insgesamt erinnerte der Mann Lüder an Heinz Erhardt. Selbst die
Stimme wies eine – wenn auch entfernte – Ähnlichkeit auf.
Der Geschäftsführer kam auf die Polizisten zu, drückte
jedem die Hand und nannte seinen Namen. Dann stellte er einen weiteren im Büro
anwesenden Mann vor, der mit einer blauen Latzhose und dem aufgestickten Emblem
»Noskemeier« bekleidet war.
»Das ist Herr Knudsen, unser stellvertretender
Betriebsratsvorsitzender. Sozusagen der Vertreter von Herrn Fixemer. Bitte,
meine Herren, nehmen Sie Platz«, sagte er und stutzte, als er registrierte,
dass die vorhandenen Sitzplätze nicht ausreichten. Viele andere Manager hätten
jetzt ihre Sekretärin angerufen. Hartwig ging selbst ins Nebenzimmer und kam
mit zwei Stühlen zurück.
»Es ist schlimm, was dort geschehen ist«, eröffnete er
dann das Gespräch. »Wir sind hier alle sehr erschüttert und fühlen mit der
Familie. Hubert ist ein toller Mensch.« Er unterbrach einen
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