Der Tote vom Kliff
mit langen, bis zu
den Schulterblättern reichenden Haaren. »Jana, die Tochter. Und das ist ihr
Bruder. Alexander.« Der Junge mit der Harry-Potter-Brille stand auf und bot den
Beamten seinen Platz an.
Der Vierte im Zimmer, ein Mann mit deutlichen
Geheimratsecken, war ebenfalls aufgestanden und kam auf die Polizisten zu.
»Armbruster«, stellte er sich vor. »Ich bin von der IG Metall Neumünster und unterstütze die
Familie des Kollegen Fixemer in dieser schweren Stunde.«
Nachdem sie auf zwei eilig aus einem Nebenraum
herbeigeschleppten zusätzlichen Stühlen Platz genommen hatten, übernahm
Armbruster sofort die Gesprächsführung.
»Es ist uns allen unerklärlich, was Hubert bewegt
haben mag, sich so etwas anzutun«, erklärte er. »Er ist nicht nur ein
vorbildlicher Familienvater, sondern engagiert sich gesellschaftlich und
politisch. Seit Langem setzt er sich für die Belange der Kollegen ein und
genießt das Vertrauen der Belegschaft, da er schon zum dritten Mal in den
Betriebsrat gewählt wurde, dessen Vorsitzender er seit sechs Jahren ist.«
»Ist Herr Fixemer als Betriebsrat freigestellt? Macht
er das hauptberuflich?«
Armbruster schüttelte den Kopf. »Noskemeier hat keine
fünfhundert Mitarbeiter. Hubert übt dieses Amt neben seinem Job als Mitarbeiter
im strategischen Einkauf des Betriebs aus. Das fordert viel Zeit und Kraft,
zumal er auch noch für seine Partei in der Kommunalpolitik mitarbeitet, im
Kirchenvorstand ist und eine Reihe weiterer Ehrenämter wahrnimmt.« Armbruster
unterbrach seine Ausführungen für einen Moment und sah Lüder mit einem
betrübten Blick an. »Wenn Sie mich fragen … Das ist alles zu viel geworden.
›Hubert‹, habe ich ihm letzte Woche noch gesagt. ›Schalt einen Gang zurück.
Denk an deine Familie.‹ Gerade in letzter Zeit hat er sich ordentlich krumm
gemacht. Was die da vorhaben – das geht an die Nieren.«
»Was hat Hubert Fixemer gegen die da oben in
die Wege geleitet?«, fragte Lüder und bemühte sich, sein mangelndes
Hintergrundwissen zu verbergen.
»Das geht doch seit Wochen durch die Presse«,
schimpfte Armbruster. »Aber was hier in Neumünster los ist – das kümmert Kiel
in keiner Weise. Wenn es eine Rezession zu verteilen gibt, dann kloppt ihr
immer auf Neumünster ein. Und wenn wir uns hier selbst wieder ein bisschen aus
dem Dreck gezogen haben, rums! Schon kommt die nächste Klatsche.« Der
Gewerkschaftler hatte sich in Rage geredet.
»Noskemeier soll das nächste Opfer sein?«, riet Lüder.
»Die sollen geschlachtet werden. Das ist es, was
Hubert zu schaffen macht. Erst kommt da einer aus dem Süden angeschlichen,
kauft sich hier billig ein, und dann wird Neumünster plattgemacht.«
»Das stimmt so nicht ganz«, warf zaghaft Frau Fixemer
ein. »Du bist genauso erregt wie Hubert. Ihr habt ja recht. Der kleine Mann
bleibt wieder einmal auf der Strecke.« Sie wandte sich an Lüder. »Noskemeier
ging es vor fünfzehn Jahren nicht gut. Da ist der alte Hundegger eingesprungen
und hat den Betrieb übernommen.«
»Und dabei die halbe Belegschaft rausgeworfen«, fuhr
Armbruster dazwischen.
»Davon verstehe ich zu wenig«, sagte Frau Fixmer
leise. »Jedenfalls ging es mit dem Rest weiter. Noskemeier in Neumünster hat
seitdem Motorenteile für das Stammwerk gebaut.«
»Und nun glauben die, dass sie das allein besser
können.« Armbruster hatte seine Erregung immer noch nicht abgelegt.
»Wer sind die?«, fragte Lüder.
»Hundegger-Industries AG aus Ditzingen. Das liegt bei Stuttgart«, antwortete der Gewerkschaftler
schnell. »Die gesamte Produktion soll hier weg und in Baden-Württemberg
konzentriert werden. Verschlanken nennen die das. Erst plündern die hier das
Know-how, und dann wird der Laden dichtgemacht. Ich möchte …«
»Lass gut sein«, mischte sich Frau Fixemer ein. Trotz
der offensichtlichen Anspannung schien ihr daran gelegen, die Emotionen nicht
zu hochkochen zu lassen. »Mein Mann hat mit Dr. Hundegger zu sprechen versucht.
Der Betriebsratskollege aus Ditzingen hat Hubert eine Nachricht gesteckt, dass
Dr. Hundegger das ganze Werk, also Stuttgart, verkaufen will. Angeblich an die
Chinesen, die seit einiger Zeit die Hauptkunden sind. Mein Mann wollte von Dr.
Hundegger Klarheit, ob an diesem Gerücht was dran ist. Doch der hat sich
geweigert, mit Hubert zu reden. Deshalb ist mein Mann nach Sylt gefahren, um
mit dem Senior zu sprechen. Der Herr Konsul hat sich vor einiger Zeit ganz
zurückgezogen und alles seinem Sohn, dem
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