Der Tote vom Kliff
siebenunddreißig Arbeitsstunden umfassen soll,
kann ich nur lachen. Sechzig – siebzig. Und mehr. Das ist meine Messlatte.
Irgendwann muss man abschalten, sich Ruhe gönnen und zumindest für eine kurze
Zeitspanne den Stress hinter sich lassen. Das mache ich hier auf Sylt, indem
ich Sport treibe. Wie würden Sie reagieren, wenn Sie mitten im Urlaub zu einem
Einsatz abkommandiert würden? Die Herren wollten partout von mir hören, dass
ich die Gespräche über die sinnvolle Weiterentwicklung von Hundegger-Industries
abbreche und ihnen versichere, dass alles beim Alten bleibt. Ich habe beiden
genau das erklärt, was ich Ihnen vorhin erzählt habe. Stillstand ist
Rückschritt. Wer nicht auf der Höhe des Marktes bleibt, hat verloren. Und wenn
wir nicht die Kräfte konsolidieren, werden wir alles verlieren. Es ist doch
sinnvoller, mit den Chinesen zusammenzuarbeiten, als sich von ihnen
überrollen zu lassen. Ich erzähle Ihnen nicht Geheimnisvolles, wenn ich
verrate, dass man im Reich der Mitte hemmungslos unsere Patente kopiert und uns
damit um die Früchte teurer Entwicklungs- und Forschungsarbeit bringt. Und ein
chinesischer Arbeiter ist preiswerter und somit konkurrenzfähiger. Das habe ich
den Herren Fixemer und Balzkowski erklärt. Wenn sie ihre Kollegen dazu bringen,
genauso wettbewerbsfähig zu produzieren wie die Chinesen, dann haben wir eine
Chance, unverändert weiterzumachen.«
»Und wie haben die beiden reagiert?«
Dr. Hundegger lachte auf. »Pah! Fixemer war
deprimiert. Und Balzkowski hat die ganze Litanei der Sprüche heruntergebetet,
die Sie täglich aus dem Mund der Gewerkschaften vernehmen können. Aber keiner
von denen ist bereit, unternehmerische Verantwortung zu übernehmen.« Der Mann
sah an Lüder und Große Jäger vorbei und schien etwas im Hintergrund entdeckt zu
haben. »Ich fürchte, ich muss das Gespräch jetzt beenden«, sagte er und stand
auf. »Ich habe eine Verabredung.« Dann zeigte er auf den Tisch mit den
Getränken. »Das übernehme ich selbstverständlich.«
Die Beamten waren auch aufgestanden. Lüder drehte sich
um und sah einen Mann auf sie zukommen, der einen Trolley mit einem Golfbag
hinter sich herzog. Lüder musterte den Besucher. Er war mit einer eleganten
Tweedjacke gekleidet. Ein farblich darauf abgestimmtes Hemd mit dem Signet
eines Edelschneiders passte ebenso hervorragend dazu wie der unifarbene
Kaschmirpullover. Die Füße steckten in handgenähten Schuhen. Am meisten
beeindruckte Lüder aber der Kopf. Der war rundum von einer gesunden Bräune, die
mehr nach der sorgfältigen Arbeit eines Maskenbildners aussah als nach
südlicher Sonne. Besonders markant war die maskulin wirkende Glatze, die von
der Sonne verwöhnt war.
Der Mann schnippte mit den Fingern, nachdem er Dr.
Hundegger per Handschlag begrüßte hatte. »Sind Sie nicht der Polizist, der … äh
… wie war noch gleich der Name?«
»Das ist Dr. Dr. Cornelius Buurhove«, stellte Lüder
den neuen Gast Große Jäger vor. »Wirtschaftsanwalt aus Düsseldorf, bevor er
sich beim vergeblichen Einfädeln eines großen Deals an der Schlei verhoben
hat.«
In Dr. Dr. Buurhoves Augen funkelte es zornig, während
Dr. Hundegger interessiert seinen Blick zwischen Lüder und dem Düsseldorfer
Unternehmensberater hin und her schweifen ließ.
»Sie werden doch nicht etwa Golf spielen?«, fragte Dr.
Dr. Buurhove und musterte Große Jäger mit einem spöttischen Seitenblick. »Für
die auf einem Golfplatz erforderliche Etikette sind Sie nicht korrekt
gekleidet.«
»Wir gehen einem anderen Sport nach«, mischte sich der
Oberkommissar ein. »Wir lochen keine Bälle, sondern arrogante Spitzbuben ein.«
»Sie hören von uns«, sagte Lüder schnell und entfernte
sich von der Terrasse des Clubhauses, bevor Große Jäger Äußerungen von sich
geben konnte, die zu einer Beschwerde hätten führen können.
»So ein widerliches Arschloch«, grunzte der
Oberkommissar, als sie zum Auto zurückkehrten. Er ließ dabei offen, welchen der
beiden Männer er meinte.
Sie fuhren noch einmal zum Appartementhaus am
Brandenburger Platz, aber weder Hans-Martin Hollergschwandtner noch seine
Freundin, bei der er Unterschlupf gefunden hatte, waren anwesend.
»Dann müssen wir notgedrungen wieder in die Sansibar«,
sagte Große Jäger. »Da ist er üblicherweise anzutreffen.«
»Das hat Zeit«, beschloss Lüder und sah auf die Uhr.
»Ich werde jetzt nach Kiel fahren und den Rest des Wochenendes meiner Familie
widmen. Am Montag bin ich
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