Der Tote vom Maschsee
da!«
Oda ruft nach ihrer Tochter, die sich gerade in ihr Zimmer
verdrücken will. »Veronika, schieb eine Pizza in den Ofen, wir kriegen Besuch.
Und lass deine Klamotten aus dem Wohnzimmer verschwinden. Herrgott, ist das ein
Saustall hier!«
Bis diese Wedekin aus der List bei ihr in Isernhagen eintreffen
wird, bleibt noch etwas Zeit zum Aufräumen. Das ist auch notwendig.
Normalerweise unterzieht Oda die Wohnung am Wochenende oder an dienstfreien
Tagen einer Generalüberholung, an der Veronika, dieses erzfaule Geschöpf,
zwangsweise beteiligt wird. Besuch mitten in der Woche ist nicht vorgesehen.
Oda seufzt. Ãberall liegen Bücher, CDs, DVDs und Zeitungen herum, dazwischen Chipstüten
und Klamotten von ihr und Veronika. Der Tisch muss abgewischt werden und die
Teller vom Abendessen in die Küche getragen, wo sich schmutzige Gläser und
leere Flaschen der letzten drei Tage neben der Spüle versammelt haben. Ihren
ausgeleierten Jogginganzug sollte sie auch noch gegen etwas Eleganteres
tauschen. Oda ist gerade dabei, als es schon an der Tür klingelt. Verdammt, das
waren keine zehn Minuten. Aber sie hat ja gesagt: sofort.
»Sprit. Alles Sprit.« Jens Köpckes Arm rudert von rechts
nach links. »Die bauen nur noch Sprit an, kein Essen mehr. Mais zum Verfeuern,
Raps für Biodiesel.«
Völxen muss seinem Nachbarn recht geben, findet allerdings, dass die
vielen gelben Rapsfelder sehr schön aussehen, besonders jetzt, im weichen Licht
des Sonnenuntergangs. Goldlichtbehaucht, hat Wanda neulich dazu gesagt. Woher
hat das Kind solche Worte? Von diesem neuen Kerl vielleicht, diesem â wie hieÃ
er noch gleich?
»Ich schwör dir, Kommissar, in ein paar Jahren wirfst du keinen
Kanten Brot mehr weg.«
»Tu ich jetzt schon nicht. Das kriegen die Schafe«, antwortet
Völxen. Ein Mückenschwarm tanzt über dem Zaunpfahl. Die Schafe sind helle
Kleckse in der fortgeschrittenen Dämmerung, Kumuluswolken auf Beinen, sie
müssen dringend geschoren werden.
»WeiÃt du, was die neuerdings aus dem Weizen machen?«
Völxen schüttelt den Kopf. Ãber ihnen schwirrt eine Fledermaus in
irrsinnigen Haken durch die Luft.
»Ãthanol. Sprit.«
Völxen nickt. Ihm ist nicht nach Reden, er wäre nach diesem
anstrengenden Tag lieber ein paar Minuten allein geblieben.
»Pervers. Pervers ist das«, murmelt Köpcke. Dann greift er in den
Latz seines Blaumanns und zieht zwei Flaschen heraus. »Auch ân Herri?«
Völxen nickt.
Köpcke öffnet die Flaschen an der Kante des Zaunpfahls, lauwarmes
Herrenhäuser zischt heraus. Schweigend und trinkend sehen sie zu, wie die
Mondsichel über den Kirchturm klettert.
Ein Mädchen öffnet die Tür. »Hi«, sagt sie und mustert
Jule von oben bis unten.
»Guten Abend, ich bin Jule Wedekin.«
»Vero.«
Sie ist so groà wie Jule und sehr dünn. Das Haar fällt ihr
pechschwarz und glänzend bis über die Schultern. Sie hat die blaugrünen Augen
ihrer Mutter, sie sind dick mit Kajal umrahmt.
»Kommen Sie rein«, tönt es aus dem Hintergrund. Oda kommt aus dem
Schlafzimmer, sie trägt eine Art Hauskleid in ihrer Lieblingsfarbe, es ist
gerade geschnitten und reicht bis zu den FuÃknöcheln.
»Die Pizza dauert noch. Ich konnte ja nicht ahnen, dass Sie quasi
schon vor dem Haus herumlungern.«
»Es ist so idyllisch hier«, meint Jule. »Ein altes Gut, nicht wahr?«
»Ja, aufgeteilt in vier Wohnungen. Wir sind hier raus gezogen, als
Veronika ihren Pferdetick hatte. Inzwischen sind Jungs interessanter als
Pferde, und sie beschwert sich, dass sie es so weit zu den Diskos hat. Aber
jetzt bleibe ich hier.«
Veronika verdreht die Augen und stöhnt. Sie rafft ein paar
Kleidungsstücke vom Boden auf und verschwindet damit eine offene Treppe hinauf,
die auf eine Galerie führt.
Oda ruft ihr hinterher: »Mach die Sauerei im Bad weg, bevor alles
antrocknet!« Dann wendet sie sich an Jule. »Kleiner Mutter-Tochter-Konflikt.
Sie hat sich vorhin gerade ihr schönes blondes Haar schwarz gefärbt. Und das
halbe Bad gleich mit.«
Offenbar hat Veronika gewisse Farbvorlieben von ihrer Mutter geerbt
und lebt sie konsequent aus.
»Was gibt es da zu grinsen?«
»Mir ist nur gerade eingefallen, dass ich sogar mal grüne Haare
hatte. Meine Mutter hätte mich am liebsten rausgeworfen«, erzählt Jule.
»Grüne Haare, ja?
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