Der Tote vom Maschsee
Mücke.
»Als er am Montag noch einmal in die Praxis gekommen ist, habe ich
ihn gefragt, ob es was Neues aus Sehnde gibt. Er hatte ja mit der
Sozialarbeiterin gesprochen. Er hat das Diktiergerät auf meinen Schreibtisch
gelegt mit den Worten: âºHörâs dir an.â¹ Die Kassetten von dem Gespräch mit
Strauch hat er mir auch gegeben.« Sie nimmt drei kleine Kassetten aus der
Schublade.
»Haben Sie es sich angehört?«, fragt Fernando.
»Ja.«
»Und?«
»Mir ist nichts Besonderes aufgefallen. Aber ich weià ja nicht,
wonach Sie suchen.«
Fernando nimmt Diktiergerät und Kassetten an sich und steht auf, als
ihm eine grandiose Idee kommt: »Darf ich mir die Bänder in Dr. Offermanns Büro
anhören? Falls ich Fragen habe, wären Sie als Expertin gleich vor Ort.«
Sie zögert, ein kleines Lächeln stiehlt sich auf ihr Gesicht, dann
nickt sie: »Meinetwegen. Sie wissen ja, wo es ist.«
Fernando frohlockt. Jede Minute in der Nähe dieser göttlichen Frau
ist ein kostbares Geschenk.
»Heute ist Montag, der zehnte April,
Gespräch mit Frau Carina Leistner vom Sozialen Dienst der JVA Sehnde. Frau
Leistner, seit wann ist der Gefangene Michael Strauch hier inhaftiert?«
»Er kam im Januar 2005 aus der Haftanstalt
Celle zu uns. Aus rein organisatorischen Gründen.«
»Wie war er so?«
»Unauffällig, im GroÃen und Ganzen.«
»Können Sie das präzisieren, Frau Leistner?«
Die Stimme des Psychiaters ist wohltemperiert und klangvoll.
Sicherlich hatte Offermann einen GroÃteil seines Charismas dieser Stimme zu
verdanken, vermutet Fernando.
»Nun, es gab nie Ãrger mit Mitgefangenen. Strauch
ist höflich, fast schon zurückhaltend. Er hat keine Freunde auf der Station,
aber auch keine Feinde. Er kann nach auÃen sogar recht charmant wirken, und er
bemüht sich zu gefallen.«
»Aber �«
»Aber diese Fassade bricht ganz schnell zusammen,
wenn er etwas nicht bekommt, von dem er glaubt, dass es ihm zusteht. Er fühlt
sich bei der geringsten Gelegenheit benachteiligt, und dann beauftragt er
seinen Anwalt, uns mit Eingaben und Beschwerden zu überziehen.«
»Ein Beispiel?«
»Die Matratzen. Gut, die sind dünn, aber das sind
sie für alle Häftlinge. Er hat behauptet, er habe ein Rückenleiden und brauche
eine spezielle Matratze und einen Lattenrost. Der Anstaltsarzt hat dies nicht
bestätigt. Strauch hat daraufhin so lange Beschwerden eingereicht, bis er einem
Orthopäden vorgeführt wurde. Der hat ebenfalls festgestellt, dass er nichts am
Rücken hat. Irgendwann ist das dann im Sande verlaufen, allerdings nur, weil demnächst
alle niedersächsischen Haftanstalten dickere Matratzen bekommen. Aber der hätte
sonst nicht nachgelassen, der nicht! In Celle hat er so lange rumprozessiert,
bis er eine Einzelzelle bekommen hat. Hier, in Sehnde, gibt es ja ohnehin fast
nur Einzelzellen. Dennoch hat er Beschwerde einlegt, weil sein Fenster nach
Westen ging, und deshalb sei der Raum im Sommer unerträglich heiÃ. Er hat keine
Ruhe gegeben, bis ihm ein Haftraum zugeteilt wurde, der das Fenster nach Osten
hat. Bestimmt will er im Winter wieder auf die andere Seite.«
»Also ist er beim Personal nicht sehr beliebt.«
»Oh nein. Jeder der Bediensteten achtet darauf,
nie mit ihm allein zu sein. Einmal hat er nämlich behauptet, einer der
Angestellten hätte ihn bei der Durchsuchung seines Haftraumes beleidigt und
geschlagen. Der Mann hatte seine liebe Not, das zu entkräften.«
»Vielleicht hat es ja gestimmt?«
»Dieser Beamte ist schon seit fünfzehn Jahren im
Dienst, ohne dass auch nur das Geringste vorgefallen wäre.«
»Würden Sie Herrn Strauch als hinterlistig
bezeichnen?«
»Ja, doch. Hinterlistig, und wohl auch eine Spur
sadistisch. SchlieÃlich ergibt sich für ihn keinerlei Vorteil, wenn der
Wachmann ein Disziplinarverfahren an den Hals bekommt.«
»Das sagen Sie. Ihm kann es durchaus etwas
bedeuten. Immerhin hat er damit seine Macht demonstriert.«
»Genau. Macht â darum geht es ihm.«
»Frau Leistner, kennen Sie die Dame, die Herrn
Strauch zurzeit besucht?«
»Ja. Die kommt alle zwei Wochen. Behauptet, sie
sei seine Verlobte.«
»Sie bezweifeln das?«
»Ich denke, das hat ihr der Strauch eingeredet.
Eine Verlobte wirkt sich günstig auf die Sozialprognose aus, das weiÃ
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