Der Tote vom Maschsee
schon ganz scharf.«
Fernandos Blick begegnet dem ihrer Gletscheraugen. Ihr letztes Wort
hat bei ihm Assoziationen ausgelöst, die mit der Aufklärung des Mordfalles
wenig zu tun haben. Sein charmantes Lächeln findet kein Echo. Zeit für ein
unverfänglicheres Thema. »Ist unter Dr. Offermanns Patienten eine Person, der
sie so eine Tat zutrauen würden?«
Sie schüttelt den Kopf. »Ich glaube, Sie haben ein ganz falsches
Bild von unserer Klientel. Unsere Patienten sind Studenten mit Prüfungsängsten,
Schulversager, Tablettensüchtige, Spielsüchtige, Sexsüchtige, dazu jede Menge
Leute mit Alkoholproblemen, Menschen mit Phobien aller Art, Depressive,
Manische, Jugendliche, die sich mit Teppichmessern anritzen ⦠der ganz normale
Bevölkerungsdurchschnitt. Na ja, vielleicht nicht ganz«, räumt sie ein, als sie
Fernandos zweifelnde Miene bemerkt. »Neulich hat mir einer anvertraut, dass er
regelmäÃig Sex mit sechzig Kilo Hackfleisch hat.«
»Rind oder Schwein?«, fragt Fernando und wirft einen flammenden
Blick über den Schreibtisch. Ganz gewiss ist es kein Zufall, dass sie mit ihm
über Sex spricht.
»Was im Angebot ist.«
»Konnten Sie ihn heilen?«
»Ja. Er war aber nicht deswegen in Behandlung, sondern wegen seiner
Angst vor groÃen Hunden.«
Beide lächeln, die Eiszeit scheint vorüber zu sein. Fernando ist
sogar schon recht heià geworden.
Dr. Fender fährt fort: »Natürlich haben wir auch ein paar
Borderliner und Schizophrene, die sind aber bisher noch nie gewalttätig gegen
andere geworden. Jedenfalls fällt mir keiner ein, von dem ich annehme, dass er
seinen Psychiater umbringen wollte. Aber letztendlich kann man für keinen
Menschen garantieren. Das wissen Sie sicher besser als ich. Und laut Statistik
wird im Durchschnitt in Deutschland pro Jahr ein Psychiater von einem Patienten
umgebracht, wussten Sie das? »
»Nein«, gesteht Fernando. »Aber es erstaunt mich nicht.«
»Auf der anderen Seite ist der Psychiater für die allermeisten
Patienten eine höhere Instanz, so eine Art Guru. Es gibt in unserem Fachgebiet
so gut wie nie Klagen wegen Kunstfehlern. Einmal hat ein Mann hier randaliert,
weil seine Frau nach fünf Therapiesitzungen die Scheidung eingereicht hat. Aber
das ist drei Jahre her.«
»Was ist mit den Personen, die Dr. Offermann von Gerichts wegen zu
begutachten hatte?«, fragt Fernando, der sich nur noch mit Mühe auf seine
Ermittlungen konzentrieren kann. Diese Augen, dieser Mund â bestimmt sind ihr
sämtliche männliche Patienten hoffnungslos verfallen.
»Die meisten von denen sitzen ein. Aber es gab auch da nie Probleme.
Der Gutachter fällt ja kein Urteil, meistens geht es um die Frage: schuldfähig
oder nicht. Psychiatrie oder Knast.«
»Aber im Fall Strauch spielt der Gutachter doch eine wichtige
Rolle.«
»Das ist wahr«, räumt die Psychiaterin ein. »Wenn es um Entlassung
geht, ist der Gutachter in einer exponierten Position. Und Strauch ist schon
deshalb ein Sonderfall, weil das Gericht es vor fünfzehn Jahren leider versäumt
hat, Sicherungsverwahrung anzuordnen.«
»Gab es mal Ãrger von Seiten Angehöriger?«
»Die der Straftäter? Nein.«
»Und von Verbrechensopfern?«
Sie winkt ab. »Es gab nach Verhandlungen schon mal das übliche
Gegrummel, besonders dann, wenn der Täter für schuldunfähig befunden worden
ist. So nach dem Motto: Ich hatte auch eine schwere Jugend
und bringe keinen um oder Jetzt geht der ein paar
Jährchen in Therapie, und dann läuft er wieder frei herum ⦠Sie kennen
das ja. Die Boulevardpresse schlägt immer wieder gerne in diese Kerbe, in
letzter Zeit mehr denn je. Aber über konkrete Drohungen ist mir nichts
bekannt.« Sie schaut demonstrativ auf ihre Armbanduhr. »Ich würde jetzt
wirklich gerne meine Patientin hereinholen.«
»Nur noch eine Sache«, bittet Fernando. »Ist Ihnen vielleicht
bekannt, wo sich Dr. Offermanns Diktiergerät befinden könnte? Oder die
Aufzeichnung des Gesprächs mit Michael Strauch?«
Ihr Marmorteint nimmt einen Hauch von Röte an. Sie senkt kurz den
Blick, dann fasst sie in ihre Schreibtischschublade und zieht einen flachen
schwarzen Gegenstand heraus. »Entschuldigen Sie. Ich habe es vergessen.«
Na also, alles nicht so wild. Diese Jule macht einen Elefanten aus
einer
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