Der Tote vom Maschsee
der
genau. Andererseits würde es mich nicht wundern, wenn die ihn tatsächlich
heiraten würde. Die lässt es sich ja auch gefallen, dass er sie im Besucherraum
als blöde Kuh oder noch ärger beschimpft. Tja, Knackis und Frauen ⦠ein Thema
für sich.« (Ein Seufzer.)
»Wurden hier in Sehnde resozialisierende
MaÃnahmen mit dem Häftling durchgeführt?«
»Ein Antiaggressionstraining. Das hat er ganz gut
bestanden.«
»Sonst nichts?«
»Nein. Er ist der Meinung, die hiesigen
Therapeuten würden seiner komplexen Persönlichkeitsstruktur ohnehin nicht
gerecht, also hat er weitere MaÃnahmen verweigert.«
»Wie schildert er denn Ihnen gegenüber seine
Persönlichkeitsstruktur?«
»Nicht näher. Nur, dass sie eben sehr komplex
sei.« (Sarkastisches Auflachen.) »Ach, eines habe ich noch vergessen: Er hatte
neulich Besuch von einem Journalisten, Boris Markstein von der Bild-Hannover , der angeblich ein Porträt über ihn schreiben möchte.«
»Markstein? Interessant. Ich danke Ihnen, Frau
Leistner.«
»Gern geschehen.«
Nach der fünfzehnten Vortragsbesucherin hat Jule aufgehört
zu zählen. Im Zehnminutentakt hat sie an diesem Morgen Personalien aufgenommen
und dieselben Fragen gestellt. Niemand hat sich in der Nähe des Tatortes
aufgehalten, niemandem ist etwas Besonderes aufgefallen. Den Streit von Frau
Dilling mit Dr. Offermann haben noch drei Personen bestätigt. Jetzt, gegen ein
Uhr, ist der Strom endlich versiegt. Der Rest kommt am Nachmittag.
Es klopft. Nein, nicht noch jemand! Sonst wird das womöglich nichts
mit dem Mittagessen.
»Ja, bitte.«
Es ist Oda Kristensen. Sie bleibt in der Tür stehen. »Wie siehtâs
aus?«
»Nichts Neues. Immer die gleichen Antworten: nichts gesehen, nichts
bemerkt, längst zu Hause gewesen.«
»Ja, Mädchen, das ist Polizeiarbeit. Nicht Verfolgungsjagden durch
Metropolen oder Verhöre hinter verspiegelten Wänden«, grinst Oda. Dann fragt
sie: »Wo ist eigentlich unser Don Juan?«
»Vermutlich in den zarten Fängen von Dr. Fender. Jedenfalls hat er
sich ordentlich eingedieselt, ehe er verschwunden ist.«
»Dieser rollige Windhund! Der soll heute Nachmittag die Schüler aus
der Jugendherberge befragen. Wehe, wenn der nicht rechtzeitig da ist.«
»Er wird schon noch auftauchen«, hofft Jule, die ahnt, an wem diese
Aufgabe sonst hängen bleibt. »Danke noch, wegen gestern Abend. Ich habe mich
wirklich viel sicherer gefühlt in der Besprechung heute.«
»Du brauchst nicht nervös zu sein.«
»Bin ich aber«, bekennt Jule.
»Ich geh jetzt essen, kommst du mit?«, fragt Oda.
»Unbedingt«, antwortet Jule.
Sie setzen sich in Bewegung.
»Mahlzeit«, blökt Nowotny, der mit einem Stapel Akten über den Flur
schlurft.
»Dir auch eine gesegnete Mahlzeit«, ruft Oda, die der urdeutsche
Mittagsgruà stets auf die Palme treibt.
»Ich hoffe, ich schaffe es heute mal, einkaufen zu gehen und ein
paar Lampen aufzuhängen«, seufzt Jule, als sie auf den Lift warten. »Aber ich
habe ja nicht mal eine Bohrmaschine.«
»Kann ich dir leihen«, bietet Oda zu Jules Verblüffung an.
»Bohrmaschine und Akkuschrauber, wenn du willst.«
»Danke. Das wäre super.«
»Hast du keinen Freund, der so was macht?«
»Nein.«
»Warum nicht?« Die blaugrünen Augen haften forschend auf Jules
Gesicht.
Schulterzucken. »Es geht nie lange gut.«
»Woran liegtâs?«, hakt Oda erbarmungslos nach.
»Wenn man über einen IQ verfügt, der über dem eines Schäferhundes
liegt, und gleichzeitig den altmodischen Anspruch hat, dass ein Mann klüger
sein soll als man selbst â da bleibt nicht so viel Auswahl.«
Oda schaut sie verblüfft an, dann fängt sie an zu lachen. »Lieber
Himmel. Ich glaube, mit dir hat der alte Silberrücken doch einen ganz guten
Griff getan.«
»Mahlzeit!«, zischt es hinter ihnen.
»Oh, hallo, Völxen! Schön, dich zu sehen. Komm doch mit uns essen.«
Der Aufzug hält, alle drei steigen ein. Jule verkneift sich ein
Grinsen.
»Wie war die Befragung dieser Schröder?«, fragt Völxen.
Oda winkt ab. »Ein durchgeknalltes Püppi. Hat behauptet, ihr Gatte
habe ihr einen russischen Schlägertrupp auf den Hals gehetzt, der sie mit einem
Geländewagen in die Eilenriede verschleppt
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