Der Tote vom Maschsee
Boch ⦠Jede Edelmanufaktur nimmt ein eigenes Regal ein.
Völxen betrachtet ein weiÃes Kaffeeservice mit dezenten Blümchen. Das würde gut
in ihren Haushalt passen, so ländlich und verspielt, wie es wirkt. Wäre das
nicht ein Geschenk für Sabine, zum Geburtstag? Beschämt denkt er an die
Sammlung unterschiedlicher Tassen und Becher, die sich über die Jahre im
Küchenschrank eingefunden hat: Geschenke, Spontankäufe, Souvenirs aus
Urlaubsorten und die Tassen mit den Pferdemotiven, mit denen Wanda vor Jahren
dezent auf ihren Herzenswunsch aufmerksam machte. Im Wohnzimmerschrank lauert
ein komplettes, potthässliches Service von Sabines Eltern, das sie nur
benutzen, wenn diese zu Besuch sind. Völxen dreht den Teller um. Neunundzwanzig
Euro. Für einen Kuchenteller. Einen! Und vierzig für die Zuckerdose. Da geht ja
fast ein halbes Monatsgehalt für so ein bisschen Porzellan drauf, rechnet der
Kommissar. Zum Glück hat Sabine für solchen Schnickschnack nicht viel übrig.
»Kann ich Ihnen helfen?«
Eine Dame, Mitte dreiÃig und etwas mollig, sieht ihn fragend an. Das
Namensschild an ihrer hellblauen Bluse weist sie als Frau I.
Kissinger aus.
Völxen zeigt ihr den Dienstausweis. »Hauptkommissar Völxen von der
Polizeidirektion Hannover. Kann ich Sie einen Augenblick ungestört sprechen,
Frau Kissinger?«
Irma Kissinger schaut sich erschrocken um. Die Abteilung ist leer,
weder Kunden noch Kolleginnen sind in der Nähe.
Trotzdem flüstert sie: »Worum geht es?«
»Sie sind die Verlobte von Michael Strauch, der zurzeit in der JVA
Sehnde einsitzt?«
»Ãh ⦠ja.« Wieder ein hektischer Blick, als befürchte sie Lauscher
hinter den Regalen.
»Sie wollen den Mann also heiraten, wenn er rauskommt«, vergewissert
sich Völxen, der nicht so recht daran glauben mag. Frau Kissinger ist keine
Schönheit, ihr Gesicht ist zu breit, die Augen sind zu klein und die Lippen zu
schmal, aber sie wirkt gepflegt und â sauber. Ja, denkt Völxen, eine Frau wie
Kernseife: schnörkellos, einfach, ehrlich. Wie um alles in der Welt gerät die
an so einen Kerl?
»Das haben wir vor, ja.«
Völxen verdrängt die unangenehme Vorstellung und fragt: »Sagt Ihnen
der Name Dr. Martin Offermann etwas?«
»Ja. Das ist der Psychiater, der ihn begutachten soll.«
»Kennen Sie ihn?«
»Nicht persönlich. Aber er war schon ein paar Mal im Fernsehen. Darf
ich erfahren, worum es geht?« Sie hat aufgehört zu flüstern und sieht den
Kommissar herausfordernd an.
»Dr. Offermann wurde ermordet. Montagabend. Und das führt mich zu
der Frage, wo Sie den späten Abend verbracht haben, vor allen Dingen die Zeit
um Mitternacht herum.«
»Da war ich zu Hause und habe geschlafen.«
»Gibt es dafür Zeugen?«
»Ich bitte Sie. Ich lebe allein.«
»Frau Kissinger, wie hat sich Herr Strauch Ihnen gegenüber über Dr.
Offermann geäuÃert?«
»Wie bitte?«
Der Kommissar sucht nach einer simpleren Formulierung: »War er
einverstanden mit ihm oder fand er ihn nicht in Ordnung?«
»Er fand ihn ganz okay. Ja, das hat er gesagt. Ganz okay.«
»Verzeihung. Wo finde ich die Serie Anmut ?«
Eine kleine, alte Dame im hellen Ãbergangsmantel und unter einem Helm aus
grauen Pudellocken hat sich resolut zwischen den Kommissar und die Verkäuferin
gedrängt.
»Entschuldigen Sie«, sagt Frau Kissinger zu Völxen und führt die
Dame zu einem Regal. »Ich bin gleich bei Ihnen«, verspricht sie ihr und geht
zurück zu Völxen. Der schielt unauffällig auf ihre schwarzen Pumps.
»Frau Kissinger, am Montag hat Dr. Offermann einen Vortrag im
Marriott gehalten, wussten Sie das?«
»Ja.«
»Hatten Sie keine Lust hinzugehen?«
»Nein.«
»Warum nicht? SchlieÃlich war Dr. Offermann doch eine wichtige
Person in Ihrem Leben.«
»Wieso?« Sie sieht ihn überrascht an.
»Er sollte immerhin über die Zukunft Ihres Verlobten entscheiden.«
»Nein, so sehe ich das nicht«, widerspricht sie. »Der Michael kommt
so oder so raus, wenn seine Haftzeit um ist, das hat er mir gesagt. Die können
ihm gar nichts. Er hat seine Strafe abgesessen, ganz egal, was diese
Psychologen sagen.« Ihre Mundwinkel sind nun trotzig nach unten gezogen.
Völxen kann seine Neugier nun nicht mehr zügeln: »Sagen Sie, wie
haben Sie
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