Der Tote vom Maschsee
Schuhe â schwer
zu sagen, welche GröÃe.
Oda verlässt die Toilette, bleibt aber dicht neben der Tür in dem
muffigen, dunklen Flur stehen. Ein Türschloss wird geöffnet, der Wasserhahn
läuft.
»Hast du dich bei der Polizei gemeldet?« Die Stimme der Blonden.
»Nein. Was soll ich denen schon sagen?«, fragt die andere. »Wir sind
doch nach Irenes Ausbruch gleich nach Hause.«
»Ich bin auch nicht hin. Will mit denen nichts zu tun haben.«
Die beiden kommen heraus und gehen zur Garderobe. Oda geht langsam
die Treppe hinunter. Auf dem ersten Absatz bleibt sie stehen und tut, als
studiere sie ein Plakat, das für einen Kursus in Selbstverteidigung wirbt. Sie
sollte auch mal wieder zum Dienstsport gehen, fällt ihr dabei ein. Wo bleiben
die zwei denn jetzt? Ein ganzer Pulk Frauen kommt wenig später die Treppe
herunter, die beiden Zielpersonen sind auch dabei.
Ihnen auf den Fersen ist Dr. Fender, eine Visitenkarte in der Hand:
»â¦Â bin ich jederzeit erreichbar«, hört Oda die Psychiaterin sagen. Wen immer
sie gemeint hat, die Angesprochene nimmt die Karte nicht entgegen. Einen Moment
sieht es so aus, als wollte Liliane Fender den Frauen hinterherlaufen, aber
dann beugt sie sich nur über das Geländer und ruft: »Ein Trauma, das nicht
verarbeitet wird, führt ein Eigenleben!« Sie bekommt keine Antwort, wendet sich
mit resigniertem Gesichtsausdruck ab und steckt die Karte in die Tasche ihres
Blazers.
Hier rekrutiert sie also ihre Patientinnen, quasi an der Quelle.
Keine schlechte Idee. In den USA sollen die Anwälte ja auch in den Notaufnahmen
der Krankenhäuser herumlungern und Visitenkarten verteilen. Aber dass
Psychiater es hierzulande schon so nötig haben, wundert Oda dann doch.
Sie hat es nun ebenfalls eilig und verlässt das Gebäude. Inzwischen
ist es dunkel geworden, so dunkel es in einer Stadt eben wird. Von irgendwoher
ertönt Musik â Tango, vermutlich aus dem Lokal gegenüber, dem Tango Milieu . Ein Windstoà treibt eine leere Dose über den
Hof. Ob es wohl endlich Regen geben wird? Die Blonde und die Lockige verlassen
zusammen das Faust-Gelände, und Oda folgt ihnen. Sie hat Glück. Die Blonde
steigt in einen Passat-Kombi, der in der LeinaustraÃe parkt, die Lockige geht
noch ein Stück weiter und setzt sich dann ans Steuer eines Smart. Oda notiert
dezent die Autonummern.
Die Stöcke unter den Arm geklemmt, schleppt sich Völxen
über die Schwelle seines Heims. Jetzt freut er sich wie ein Schneekönig auf ein
kühles Bier. Das hat er sich redlich verdient, findet er. Im Wohnzimmer jault
die Klarinette. Gut so. Er will sich gerade in die Küche schleichen, da geht
die Tür zum Wohnzimmer auf.
»He, Völxen! Ham sie dir die Ski geklaut?«
Der Hausherr fährt erschrocken herum, dann betritt er ahnungsvoll
die gute Stube. Acht alte Männer sind vor der Anrichte aufgereiht. Ihnen
gegenüber steht eine streng blickende Frau im langen schwarzen Rock. Ihr Haar
ist zu einem Dutt aufgesteckt, um den ein buntes Seidentuch geschlungen ist.
Sie hält einen Stock in der Hand. Sabine streckt den Kopf hinter ihrem
Notenständer hervor: »Hallo Schatz. Na, wie warâs? Du wirst aber jetzt kein
Bier trinken, oder?«
»Nee, bloà kein Bier! Sonst wärâ die Schinderei ja ganz umsonst«,
röhrt Jakob Rollik, Schreinermeister im Ruhestand. »Für dich nur Bad Pyrmonter !«
»Niedlich siehst du aus, Völxen«, bemerkt Uwe Fasold, ein pensionierter
Lehrer. »Hellblau steht dir.«
Grölendes Gelächter. Die Frau mit dem Stock mahnt zur Ruhe.
»Saubande«, zischt Völxen, knallt die Tür zu und geht in die Küche.
Verdammt, die hat er völlig vergessen.
»Das Land ist seinen Klischees längst entwachsen«, hat er vor Jahren
zu Sabine gesagt, um ihre Bedenken gegen den Kauf der dörflichen Immobilie zu
zerstreuen. Inzwischen muss Völxen jedoch einräumen, dass dies für ihr Dorf nur
bedingt gilt. Zwar gibt es oben, an der HauptstraÃe, die »amerikanische Botschaft«,
eine McDonaldâs-Filiale, und gleich nebenan befindet sich eine Spielhölle,
dafür sucht man im Ort allerdings vergeblich einen Bäcker- oder Metzgerladen,
und es treibt auch kein Schützenverein sein Unwesen. Stattdessen gibt es jedoch
den Männergesangsverein. Wann immer Völxen in den Genuss einer Darbietung
kommt, sagt er hinterher
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