Der Tote vom Maschsee
Odas Protokoll
der Befragung von Erika Schröder steht, dass die Frau angeblich am vierzehnten
Februar überfallen worden ist.« Nowotny wendet sich zum Gehen, aber dann kann
er sich doch nicht verkneifen zu fragen: »Was hast du denn mit deiner Hand
gemacht, Völxen? Hat dich dein Schafbock wieder auf die Hörner genommen?«
»Raus!«
»Jule, hast du Lust ein Video anzuschauen?«
»Action oder romantische Komödie?«
»Drama.« Heute Morgen war endlich das Videoband der Maybrit-Illner -Sendung in der Post.
Dr. Offermann ist ein alter Fernsehhase, das merkt man sofort. Er
strahlt Kompetenz und Autorität aus, sowohl durch seine Körperhaltung als auch
durch seine wohltemperierte Stimme und die unaufgeregte Sprechweise.
»Er ist nicht das, was man einen attraktiven Mann nennen würde, aber
er hat eine gewisse erotische Ausstrahlung«, findet Jule.
»Besonders auf Frauen mit latenten Vaterkomplexen«, meint Oda.
Neben Dr. Offermann wirkt Irene Dilling nervös und unprofessionell.
Wenn sie sich ereifert, überschlägt sich ihre Stimme und wird unangenehm
schrill. Pech für sie, dass sie eine Frau ist, denkt Jule zynisch. Ein sonorer
Bass wirkt einfach überzeugender als ein piepsiges Stimmchen.
»Ist es nicht so, Herr Dr. Offermann, dass
Therapien die Rückfallquote nur um ein Drittel mindern? Eine Rückfallquote, die
beispielsweise bei jugendlichen Gewalttätern immerhin siebzig Prozent beträgt?«
»Ganz recht. Aber Fakt ist auch, dass die Hälfte
der Persönlichkeitsstörungen erst im Vollzug entsteht, weil man im Zuge der
deutschen Systemtrennung zwischen kranken und vermeintlich gesunden Straftätern
unterscheidet. Die sogenannten âºgesundenâ¹ Täter wandern in den Knast, wo ihr
Wertesystem ab sofort durch andere Kriminelle und das Fernsehen bestimmt wird.
Diese Täter werden ohne Therapie und gänzlich ohne Prognose entlassen.«
»Dann müssen diese Täter eben nachträglich
verwahrt werden.«
»Ohne die Chance einer Therapie? Darin sehe ich,
mit Verlaub, eine Verletzung unserer Rechtsstaatlichkeit.«
Es ist ein Schlagabtausch, bei dem Offermann häufig gar nicht auf
das zuvor Gesagte eingeht, sondern wie ein routinierter Politiker das zum
Besten gibt, was er in der Kürze der Zeit unbedingt loswerden will. Dabei
bleibt er stets ruhig, wodurch seine Worte mehr Gewicht bekommen als die der
erregten Frau Dilling. Nur am Schluss, als Frau Dilling hektisch die jüngsten
Fälle von Kindesmissbrauch auflistet und Offermann zum wiederholten Mal
auffordert, doch mal mit den Eltern dieser Kinder über Risikomanagement zu
sprechen, wird der Psychiater ungehalten:
»Was wollen Sie eigentlich, die Todesstrafe?« ,
herrscht er sie an und fügt dann, wieder ganz gelassen, hinzu: »Durch Rache und Vergeltung ist noch niemandem geholfen worden,
auch nicht den Betroffenen und deren Angehörigen. Solche Forderungen erachte
ich als primitiv. Wir müssen in Deutschland endlich weg vom Schuldprinzip und
hin zum Präventionsprinzip, in der Rechtssprechung und im Strafvollzug.«
Frau Dilling hat keine Gelegenheit mehr zur Antwort, denn das Wort
geht nun an einen weiteren Gast, den Leiter einer JVA.
»So was Ãhnliches hat die Fender gestern auch vorgetragen«,
kommentiert Oda Offermanns letzten Satz. »Im Prinzip sind die Standpunkte gar
nicht so weit voneinander entfernt, aber ich glaube, Frau Dilling will das
nicht verstehen. Sie scheint sich Offermann zum Feind auserkoren zu haben.«
»Vielleicht braucht sie ja einen«, meint Jule.
Fernando lümmelt auf Dr. Offermanns Benz-Sofa. Im
Teleshopping-Kanal wird ihm angeraten, vier CDs mit dem Titel Billyâs Boot-Camp zu kaufen. Ãber Offermanns Single Malt
Whisky hinweg schaut Fernando den jungen Damen zu, die nach den Kommandos eines
sehr muskulösen Schwarzen in Tarnhosen ihre wohlgeformten Körper trainieren.
Die Blonde schräg rechts, die mit dem Waschbrettbauch, schläft garantiert mit Billy , spekuliert Fernando. Seine letzte Freundin hat er im
Fitness-Studio kennengelernt und dort auch wieder verloren, an einen zwei Meter
langen ausgemergelten Leichtathleten. Zuvor hatte sie ultimativ verlangt,
Fernando solle mit ihr zusammenziehen. Als er zu bedenken gab, dass man sich
erst drei Monate kenne, unterstellte sie ihm einen Mutterkomplex.
Mama ⦠Heute Morgen ist er wie ein Raubtier durch
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