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Der Tote vom Maschsee

Der Tote vom Maschsee

Titel: Der Tote vom Maschsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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Frau soll jetzt gehen!«
    Â»Ich komme gleich. Brüll nicht so. Und sei nicht unhöflich.«
    Â»Also kurz nach halb elf«, hält Oda fest.
    Sie nickt und drückt die Zigarette aus. Ihre Hand ist braun und
kräftig, vermutlich pflegt sie den Garten der Doppelhaushälfte.
    Â»Thaddäus, bitte nicht das Schilf zertrampeln«, ruft sie ihrem Sohn
zu.
    Â»Hat Frau Dilling noch etwas gesagt über den Vortrag?«
    Â»Ja, sie hat sich noch einmal gründlich über ihn aufgeregt. Und dann …« Frau Jödden unterbricht sich. Aus dem Kinderwagen tönt ein bedrohliches
Glucksen.
    Â»Was war dann?«, setzt Oda rasch nach.
    Â»Mir ist gerade was eingefallen. Sie hat gesagt: ›Am liebsten würde
ich wieder hinfahren und dem Kerl ordentlich meine Meinung sagen.‹ Das sagte
sie, als ich ausgestiegen bin. Aber ich denke nicht, dass sie das wirklich
getan hat. Es war nur so dahingesagt.«
    Â»Und Sie?«
    Â»Ich sagte: ›Das ist doch sinnlos.‹ Da hat sie genickt und gemeint,
ich hätte recht. Dann ist sie losgefahren.«
    Â»Wie lange sind Sie schon bei Pro victim ?«
    Â»Ich? Ach, schon sehr lange. Ich wollte einfach mal etwas Sinnvolles
machen, und ich kenne Irene …«
    Â»MAAAMAA!«
    Die besorgte Mutter springt wie von einer Nadel gestochen auf und
eilt über den Rasen zu ihrem Monster, das im Begriff ist, das nicht
seetaugliche Boot vor Wut zu zertrampeln. Die beiden diskutieren kurz, dann
rennt das Kind an Oda vorbei ins Haus.
    Kinder, denkt Oda zum wiederholten Mal, sind einfach nicht zu
ertragen. Man hält wirklich nur die eigenen aus, zur Not.
    Â»Aber mach die Tür zum Kühlschrank wieder ordentlich zu«, mahnt die
Mutter und setzt sich zurück an den Tisch. Das Baby fängt an zu knarzen.
    Oda steht auf. »Danke Frau Jödden.«
    Astrid Jödden ist ebenfalls aufgestanden. Sie nimmt das Baby aus dem
Wagen, setzt es sich auf die Hüften und presst seinen wackelnden, beflaumten
Kopf an ihre geblähten Brüste. Im weißen Strandkorb entbrennt ein Streit über
den besten Song von Tokio Hotel. Frau Jödden begleitet Oda zum Gartentor.
    Â»Hat Frau Dilling jemals erwähnt, dass sie eine Waffe besitzt?«
    Â»Eine Waffe?«
    Â»Eine Schusswaffe.«
    Â»Nein. So was hat sie nie erwähnt. Sie ist doch nicht verdächtig,
oder? Wissen Sie, sie würde so was nie fertigbringen, dazu ist sie nicht
fähig.«
    Â»Wenn Sie wüssten, wie oft ich diesen Satz schon gehört habe«,
antwortet Oda, steigt in den Dienstwagen und flieht mit Tempo dreißig aus der
Vorstadthölle.
    Die Promenade ist belebt: Jogger, Spaziergänger, Kinder
mit Eistüten. Als wäre schon Sommer, denkt Jule. Sie geht bis zum Pier 51. Hier verschwimmen die
Grenzen zwischen Land und Wasser, das Lokal wurde in den See hinein gebaut. Sie
setzt sich in den Schatten eines weißen Sonnenschirms an einen der äußeren
Tische, bestellt einen Eiskaffee und schaut nachdenklich übers Wasser. Der
Maschsee, die Perle Hannovers, ist in den Dreißigerjahren künstlich angelegt
worden. Schon vorher war hier ein Überschwemmungsgebiet für die Leine, die
Maschwiesen. Die Entstehungsgeschichte des Sees hat Jule einst in der Schule
genau durchgenommen. Die Anlage des Sees war eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme.
Kaum vorstellbar, dass der See quasi von Hand ausgeschaufelt worden sein soll,
und das innerhalb von zwei Jahren. Angeblich mussten die Arbeiter sogar ihre
eigenen Spaten zum Ausheben des Sees mitbringen. 1934
war der Maschsee fertig, und die Nazis brüsteten sich riesig mit dem Projekt.
Dabei war es gar nicht ihre Idee gewesen, schon dreißig Jahre vorher hatte es
Pläne für den See gegeben.
    Der Eiskaffee wird serviert. Segelboote kreuzen, zwei Ruderboote
liefern sich ein Rennen. Da der See lang und schmal ist, ist die Stelle, an der
Offermann gefunden worden ist, nur gute zweihundert Meter von hier entfernt. Um
kurz nach Mitternacht hat das Personal vom Pier 51
die drei Schüsse gehört. Die letzten Gäste waren um diese Zeit schon gegangen,
das Restaurant schließt um Mitternacht. Elise Wenzel ist kurz vor halb elf nach
Hause gebracht worden. Sie hätte zurückkommen und auf Offermann warten können.
Zeit dazu hätte sie gehabt. Aber welches Motiv?
    Jule löffelt die Sahne von ihrem Eiskaffee und grübelt weiter. Die
meisten Morde sind Beziehungstaten. Von den Menschen in

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