Der Tote von der Isar: Kriminalroman (German Edition)
um ihren guten Ruf zu sorgen und gibt vor, nicht die geringste Vorstellung zu haben, wie und warum sich die Tat ereignet haben könnte. Und du? Folgst du einer metaphysischen Variante in der Art von tragischem Isarrauschen? Würde jedenfalls zu dir passen.«
Bevor Gerald antworten konnte, klingelte sein Diensthandy.
»Van Loren hier. Gibt es etwas Neues?«
Schweigen. Es war nur ein Atmen zu hören, ganz leise und ganz weit weg. Gerald sah irritiert auf das Display. Es war keine Nummer aus der Zentrale.
»Verzeihen Sie, wenn ich Sie stören sollte. Es ist nur … ich bin Anne Gruber.«
Nun fiel ihm ein, dass er seine Festnetznummer in der Zentrale auf das Handy umgeleitet hatte. Als da nur dieses Atmen gewesen war, hatte er einen Sekundenbruchteil lang geglaubt, es könnte Severin sein. In den ersten Monaten nach seiner Geburt hatte Nele tatsächlich mehrmals angerufen und ihn das Atmen seines Sohnes hören lassen.
»Sie erinnern sich vielleicht noch. Ich bin die Frau, der Sie neulich … Können Sie mich überhaupt verstehen?«
»Ja, natürlich. Einen Moment bitte.« Gerald fand langsam wieder in die Realität zurück. Gleichzeitig versuchte er, sich aus dem Stuhl, der ihm so eng vorkam wie ein Kindersitz, zu befreien, ohne gegen seinen Hintermann zu stoßen und ohne auf dem eigenen Tisch ein Chaos anzurichten. Batzko hatte jedenfalls mit den Händen die beiden Gläser vorsorglich abgedeckt.
»Eine Sekunde noch.« Gerald verließ das Lokal, aber akustisch gesehen kam er vom Regen in die Traufe. Der Verkehr donnerte wenige Meter vor ihm Richtung Isartor. Er ging ein Stück die Straße entlang und bog an der nächsten Ecke rechts ab, wo es etwas ruhiger wurde.
»So. Jetzt müsste es gehen. Verzeihung, ich war in einem Lokal beim Essen.«
»Oh. Ich habe also doch gestört.« Ihre Stimme klang dünn und verunsichert, und Gerald biss sich wegen seiner Ungeschicklichkeit auf die Lippen.
»Nein. Es ist absolut in Ordnung. Wie geht es Ihnen, Frau Gruber?«
»Gut. Sehr gut.« Sie machte eine Pause und atmete tief, als müsste sie einen Widerstand überwinden. »Ich wollte Sie fragen, ob ich Sie zum Essen einladen darf. In ein Lokal, meine ich. Sie haben mir vorgestern sehr geholfen, und es ist mir so unglaublich peinlich, wie ich mich verhalten habe.«
»Das ist doch Unsinn, Sie …«
»Ich möchte es Ihnen zumindest erklären. Bitte schlagen Sie es mir nicht ab.«
»Ich habe doch so gut wie nichts getan. Wenn Sie so wollen, war ich im Dienst.«
»Bitte. Ich möchte mich nur erkenntlich zeigen. Das ist alles.«
Schließlich, nach einem letzten, nicht überzeugenden Abwehrversuch, stimmte Gerald zu. Ein Essen in einer Gaststätte bei ihr um die Ecke. An diesem Abend.
Als Gerald in das indische Restaurant zurückkehrte, war ihm der Appetit vergangen. Eine merkwürdige Anspannung zog ihm den Magen zusammen. Es hatte ihm gutgetan, eine warmherzige Stimme zu hören, eine Stimme, die in gewissem Sinne um ihn warb. Er war sie so unendlich leid, diese ewigen Selbstbehauptungskämpfe mit Nele. Und gleichzeitig fühlte er sich so, als hätte er sie bereits betrogen. Wie absurd das alles war.
Batzko hatte seinen Teller leergegessen. Er hielt den Zettel, den Frau Weinzierl ihm gegeben hatte, in die Luft und sagte: »Wenn du fertig bist, fahren wir zu Scharnagl. Ich habe in der Zwischenzeit nämlich auch telefoniert.«
»Aber noch nicht bezahlt, oder?«
»Das wäre zu viel des Guten.« Batzko grinste.
Wilfried Scharnagl wohnte mit seiner Familie in einem kleinen Ort direkt an der B304 in Höhe des Ebersberger Forstes.
Als die Kommissare die Innenstadt und die unerträgliche Glocke aus Hitze, zu viel Verkehr, Lärm und Hektik hinter sich gelassen hatten, fragte Batzko unvermittelt: »Hast du mit Plan B telefoniert?«
Gerald drückte sich tiefer in den Sitz. »Was meinst du jetzt damit?«
»Wenn du mit einer Frau telefonierst, ziehst du die Schultern zusammen, als ob du dich verteidigen müsstest.«, fuhr Batzko fort. »So klingt auch deine Stimme. Gerald, gebannt von der Klapperschlange. Das war übrigens schon früher so, bevor sie ausgezogen ist. Jetzt hat es sich nur verschlimmert. Aber um was es mir eigentlich geht: Es ist gut, wenn du dich auch mal anderweitig umschaust. Und außerdem: Was Nele dir wirklich bedeutet, wird dir erst klar werden, wenn du mit einer anderen gefrühstückt hast. Ist jedenfalls meine Erfahrung.«
Gerald ging auf Batzkos Ausführungen nicht ein. Er richtete den Blick aus dem
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