Der Tote von der Isar: Kriminalroman (German Edition)
Vaters und meines Großvaters kaputt macht. So ist das. Soll ich jetzt wegen dem Baumann etwa vor Ihnen in Tränen ausbrechen, oder was stellen Sie sich vor?«
Scharnagl bohrte seinen Blick förmlich in Batzkos Augen. Die beiden hatten sich gesucht und gefunden, dachte Gerald. Wie zwei ineinander verbissene Kampfhunde. Wenn er sie nicht trennte, würde er aus Scharnagl keinen Ton mehr herausbekommen.
»Damit wir die gesamte Entwicklung verstehen, Herr Scharnagl«, sagte Gerald, »möchte ich zum Ausgangspunkt zurückkehren. Ihre Firma besteht in der dritten Generation. Sie bewohnen ein großes Haus im Einzugsgebiet von München. Wann und warum begannen Ihre wirtschaftlichen Schwierigkeiten?«
»Mann!« Wilfried Scharnagl nahm einen tiefen Schluck und verschränkte die Finger, als wolle er eine imaginäre Nuss zerdrücken. »Die Schwierigkeiten, die machen nur die anderen. Ja, wie Sie sagen, die dritte Generation. Wilhelm Scharnagl, Walter Scharnagl und jetzt ich. Zwei Weltkriege haben wir überstanden, die Inflation, Besatzung, Nachkriegselend – nur die fetten Jahre, die vollen Auftragsbücher, das haben wir nicht geschafft. Was für ein mieser, trauriger Witz, finden Sie nicht?«
»Können Sie bitte etwas konkreter werden?«
»Klar. Kann ich. Werde ich. Die neuen Wohnkomplexe am alten Flughafen Riem – da habe ich den Auftrag bekommen für die Fenster. Hunderte, Tausende von Fenstern. Lief alles gut, ich hatte die Mehrzahl meiner Leute dort, aber nicht alle. Weil man das nie machen soll, nur einen einzigen Auftraggeber zu haben. Sie können sich sicher denken, warum. Dann ist eine andere Schreinerei abgesprungen, ich bin für die rein, und dann war ich doch mit Haut und Haaren in dem Projekt, weil die Auftraggeber anfangs völlig korrekt waren. Wir haben Tag und Nacht geschuftet, auch an den Wochenenden. Und dann – raten Sie mal!«
»Es gab Probleme mit dem Bauträger, könnte ich mir vorstellen.«
»Erst mal bekam ich kein Geld. Wochenlang nicht. Obwohl am Anfang, als ich noch nicht ganz in der Scheiße steckte, die Zahlungsmoral gut war. Sonst wäre ich doch nicht mit beiden Beinen reingesprungen. Aber genau ab dann, da begann es. Erst wurde ich wochenlang vertröstet, dann gab es angeblich Schwierigkeiten mit einer EDV -Umstellung, der Sachbearbeiter war krank – die ganze Palette eben. Dann kam ein Abschlag, eine Messerspitze Butter, die für ein Eckchen ausreicht, wo Sie doch eine ganze große Scheibe bestreichen müssen. Die haben immer genau so viel gezahlt, dass ich nicht pfänden und mein Material rausholen konnte, immer fünf Minuten vor zwölf. Wo andere ein Gewissen haben, haben die einen Trupp Anwälte. Aber die kriegen Sie ja nie zu packen. Der, mit dem Sie direkt zu tun haben, der trägt ja keine Schuld. Der kann nichts dafür. Die Entscheidungen, die fallen doch in der Zentrale im dreißigsten Stock von einem Büroturm in Brüssel oder Liechtenstein oder meinetwegen in Dubai. Sie wissen doch gar nicht mehr, wem der Laden eigentlich gehört und ob er nicht Pleite gehen soll, weil die das in der Schweiz oder in Luxemburg oder sonst wo in ihren Büchern ins Positive rechnen. Oder die Pleitefirma für ein Almosen von einem Konzern aufkaufen lassen, mit dem die über drei Ecken verbunden sind. Gibt es alles, vor und zurück.«
»Und Ihnen ist es immer schwerer gefallen, Ihre Mitarbeiter und Lieferanten zu bezahlen«, sagte Gerald.
»Sie machen sich keine Vorstellung, was ich Monat für Monat auf den Tisch legen muss, an Löhnen, Sozialabgaben, laufenden Kosten, Vorsteuern, Vorkasse bei den Lieferanten. Ich, ich kann nicht tricksen. Tricksen, das können in unserem System nur die Großen, die Konzerne, die Multis. Fragen Sie die doch mal, wo die ihre Steuern entrichten, wenn die überhaupt welche zahlen.«
»Sind dafür nicht die Banken da?«, warf Batzko ein.
Als hätte das Stichwort ihm einen Stromschlag versetzt, fuhr Scharnagl aus seinem Sessel hoch. Er ging zur Glasfront, die das Wohnzimmer vom Garten trennte, und sah nach draußen. Das Hemd war ihm am Rücken aus der Hose gerutscht, was Scharnagl aber nicht bemerkte. Er starrte aus dem Fenster, auch als er zu sprechen begann. »Ich kann es nicht begreifen. Wahrscheinlich, weil ich es nicht begreifen will. Drei Generationen, seit drei Generationen sind wir bei dieser Bank im Ort, die mir jetzt die Schlinge um den Hals gelegt hat. Aber den Stuhl drunter wegziehen, das macht dann der andere, der Insolvenzverwalter. Die Verbrecher in der
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