Der Tote von der Isar: Kriminalroman (German Edition)
Seitenfenster in die Landschaft und dachte an Anne Gruber.
Kurz hinter Eglharting schlug Batzko mit dem Handballen auf das Lenkrad. Seit einigen Minuten krochen sie hinter einem Tanklastwagen her, ohne die Möglichkeit zum Überholen. Gerald sah in die hügelige Landschaft, die präzisen Rechtecke der Felder, die dichten Waldausläufer. Nichts erinnerte an München, es konnte fünf oder auch fünfzig Kilometer entfernt sein, hier war Bayern, und das war etwas ganz anderes.
Gerade als Batzko ansetzte, den schnaufenden Lastwagen doch noch zu überholen, rief Gerald: »Stopp. Da ist ein Schild. Du musst hier rechts raus!«
»Blödsinn. Kann nicht sein. Osterseeon muss links von der 304 liegen.«
Beide hatten recht, denn die Ausfahrtsstraße, an der Batzko stur vorbeigefahren war, wurde zu einer Unterführung, die auf die andere Seite der Bundesstraße führte. Als er seinen Fehler bemerkte, stieß er einen Fluch aus. Der Tanklastwagen zog mittlerweile eine ungeduldige Kolonne hinter sich her. Batzko sah kurz in den Rückspiegel, fuhr über die durchgezogene weiße Linie und nutzte einen Feldweg auf der gegenüberliegenden Seite, um zu wenden. Zwei Fahrzeuge aus der Kolonne kommentierten das verbotene Manöver mittels Lichthupe. Ungerührt setzte Batzko rückwärts auf die Bundesstraße, fuhr zurück Richtung Kirchseeon und nahm die Abzweigung, obwohl er, aus dieser Richtung kommend, nicht links abbiegen durfte.
»Sag einfach mal gar nichts, okay?«, meinte er und gab Gerald den Zettel mit der genauen Adresse.
Sie mussten nicht lange suchen. Die Ebersberger Straße lag parallel zur B304, eine Anliegerstraße mit älteren Einfamilienhäusern und großzügigen Gärten, moderneren Doppelhäusern mit handtuchschmalen Vorgärten sowie kleineren Betrieben und Werkstätten. Die »Schreinerei Scharnagl«, ein Meisterbetrieb in der dritten Generation, wie der Werbeschriftzug am Lagerhaus informierte, war eines der letzten Häuser in der Straße. Zwei Kleinlastwagen standen vor der Lagerhalle. Das Wohnhaus, unmittelbar daneben, war großzügig angelegt. Ein kunstvoll verzierter Holzbalkon vor dem ersten Stock umfasste drei Doppelfenster. An dem mächtigen, durch ein Vordach geschützten Holztisch, der sich am Eingang des Hauses befand, konnten sicher mehr als zehn Personen Platz finden. Aber es stand nichts auf dem Tisch, kein Geschirr, keine Blumen, kein Aschenbecher. In Verbindung mit der wuchtigen Holzbank und den aufeinandergestapelten Stühlen entstand nicht der Eindruck von Gastlichkeit, sondern es wirkte eher wie ausgestorben.
Beim zweiten Hinsehen fiel Gerald auf, dass die Firmenwagen so eng und präzise vor die Lagerhalle gesetzt waren, als sollten sie einen Einbruch verhindern. Er warf einen Blick hinein. Sie waren leer und geputzt; keine Materialien, kein Werkzeug, keine Arbeitsanzüge, keine Getränkeflaschen, keine Zigarettenschachteln – nichts deutete darauf hin, dass am kommenden Tag ein kleiner Trupp Handwerker mit ihnen zu einer Baustelle fahren würde.
In diesem Moment hörten sie ein leises Hämmern, das aus dem Wohnhaus kam. Sie näherten sich der Haustür. Erneutes Hämmern, dann wieder Stille. Batzko legte den Kopf in den Nacken, weil er offensichtlich das Geräusch im oberen Bereich des Hauses ortete. Aber dort war niemand zu sehen.
Gerald drückte auf die Klingel. Batzko trat einen Schritt zurück, legte erneut den Kopf in den Nacken, als plötzlich mit Schwung die Haustür geöffnet wurde. Vor ihnen stand ein mittelgroßer und sehr kompakt gebauter Mann. An seiner Hüfte trug er einen voll bestückten Werkzeuggürtel, von dem ein Hammer und eine Zange baumelten wie zwei Colts. Der Gürtel selbst war mit weiteren kleineren Werkzeugen, einem Zollstock und Nägeln bestückt, deren Köpfe aus offenen Taschen lugten, so dicht wie Igelborsten. Er trug ein kurzärmeliges, kariertes Hemd und eine verschlissene Cordhose. Die schwarzen, mittellangen Haare klebten an seinem Kopf. Er hatte sich offensichtlich seit einigen Tagen nicht mehr rasiert, die Haare wucherten jedenfalls so unkontrolliert und ungleichmäßig am Hals, an der Wange und am Kinn, dass Gerald darin nichts erkennen konnte, was den Namen Bart verdient hätte. An den Füßen trug er Filzpantoffeln, deswegen hatten sie ihn also nicht zur Tür kommen hören.
»Herr Scharnagl?«
»Wer will das wissen?« Der Blick des Mannes war unruhig, geradezu flackernd. Die Haustür hatte er nur halb geöffnet, die rechte Hand lag am Türrahmen, als ob er
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