Der Tote von der Isar: Kriminalroman (German Edition)
die Zigarette im Aschenbecher aus, kehrte in den Wintergarten zurück und legte ihrem Mann kurz die Hände auf die Schultern, bevor sie wieder auf der Couch Platz nahm.
»Wer hat behauptet, dass die Dinge aus dem Ruder gelaufen sind? Herr Mostert?« Sie sprach klar und ohne ein Zeichen von Nervosität.
»Ja. Er hat uns unaufgefordert seine Schlüssel zu der Wohnung ausgehändigt und sinngemäß erklärt, dass es die ›Armen Ritter‹ nicht mehr gäbe.«
Sie überlegte lange, bevor sie fortfuhr, und ließ ihren Mann nicht aus den Augen. »Vielleicht bezieht er sich mit dieser Aussage auf Arndts Tod. Aber wir haben unsere Statuten, wie Dr. Mostert es immer formuliert hat, nicht verletzt.«
»Statuten? Was heißt das?« Batzko schaltete sich wieder ein.
»Wir hatten ein paar Regeln, die uns das Zusammenleben in dieser Wohnung erst möglich gemacht haben. Dr. Mostert selbst hat sie aufgestellt.« Sie machte eine Kunstpause, bevor sie begann, an den Fingern abzuzählen. »Regel Nummer eins: Die Armen Ritter reden mit niemandem über die Armen Ritter, der nicht selbst ein Armer Ritter ist. Regel Nummer zwei: Die Armen Ritter sind nur in dieser Wohnung die Armen Ritter. Regel Nummer drei: Die Armen Ritter gefährden nicht die bürgerliche Existenz ihrer Mitglieder. Regel Nummer vier: Die Beziehungen der Armen Ritter untereinander respektieren immer die Beziehungen, die die Armen Ritter in ihrem bürgerlichen Leben haben. Regel Nummer fünf: Wenn ein Armer Ritter die Gruppe verlässt, nimmt er ein Schweigegelübde mit sich.«
Es folgte ein Moment absoluter Stille. Gerd Thaler zog ein Stofftaschentuch aus der Hosentasche und wischte sich über die Augen.
»Offensichtlich«, fuhr seine Frau fort und sprach mit einer Klarheit und Überzeugungskraft, als zähle sie die positiven Aspekte einer Immobilie auf, »machen Sie sich falsche und zu düstere Vorstellungen von unseren Treffen. Wir haben viel gelacht. Arndt konnte sehr ausgelassen und witzig sein, wenn er beschwipst war, Franz-Georg hat Verse rezitiert, mein Mann und ich haben gelegentlich mit dem Kasperltheater gespielt, das wir auf unserem Speicher entdeckt hatten. Es war nur eine Art Ausgleich zu den starren Regelwerken unserer Berufe, eine übermütige Lust, die Maske des Alltags durch eine Maske des Spiels zu ersetzen. Sie aber wollen unbedingt ein Drama sehen, wo nie eines stattgefunden hat. Sie sind auf dem Irrweg, glauben Sie mir.«
Gerd Thaler wirkte noch immer wie benommen.
»Die Kleidung, die Herr Baumann trug, als man ihn fand, würde man eher bei einem Obdachlosen vermuten. Haben Sie dafür eine Erklärung?«
»Nein«, antwortete Frau Thaler mit Bestimmtheit. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Herr Baumann sich aus freien Stücken so angezogen hätte.«
»Da kann ich dir nur zustimmen«, ergänzte Gerd Thaler.
»Wir müssen die Geschehnisse am Tag des Verbrechens möglichst genau rekonstruieren«, sagte Batzko. »Sie waren an diesem Sonntag in der Wohnung in Giesing? Alle vier?«
Thaler nickte. »Wir sind nacheinander eingetroffen. Meine Frau und ich kamen gegen fünfzehn Uhr. Die anderen beiden waren schon dort. Wir haben uns unterhalten, die Stimmung war gut. Franz-Georg ist dann als Erster wieder gefahren, nachdem er eine seiner absoluten Lieblingsplatten, ›Faust‹ mit Will Quadflieg als Sprecher zur Hälfte angehört hatte. Synchron zu Quadflieg hat er selbst den Text gesprochen. In dieser Beziehung war Herr Mostert ein Phänomen. Er hatte eine ganze Bibliothek an Weltliteratur in seinem Kopf, eine bewundernswerte Leidenschaft für Sprache. Jedenfalls ist er dann so gegen siebzehn Uhr gefahren, weil er sich wegen einer Familienfeier noch zu Hause umziehen musste. Meine Frau und ich sind noch geblieben, aber nicht lange. Wir haben uns nur noch etwas unterhalten, ganz entspannt und freundschaftlich. Nach einer Stunde sind wir nach Hause gefahren. Eigentlich wollten wir uns mit unserer Tochter in der Stadt zum Abendessen treffen, aber sie hatte eine Verabredung.«
»Wie alt ist Ihre Tochter? Und weiß sie von der Wohnung?«
»Nein. Sie weiß nichts davon. Warum sollte sie auch? Sie ist gerade dreißig geworden und führt ihr eigenes Leben. Wir sind sehr stolz auf sie und stehen ihr sehr nahe, gerade in der jetzigen Phase, in der sie beruflich – wie soll ich sagen – nach neuen Herausforderungen sucht.«
»Das gehört doch wirklich nicht hierher«, sagte seine Frau mit einer überraschenden Schärfe in der Stimme.
»Was haben Sie also
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