Der Tote von der Isar: Kriminalroman (German Edition)
Polizisten antworteten. Er hatte ihre Ausweise in der rechten Hand. Batzko stand lediglich daneben und hörte zu. Insgesamt waren es vier Jungen zwischen fünfzehn und achtzehn Jahren. Zwei von ihnen trugen über den Knien abgeschnittene Jeans, deren Nähte mit mehreren großen Sicherheitsklammern dekoriert waren. Ihre Oberkörper waren nackt, beide Brustwarzen von Ringen durchstochen. Der Dritte trug eine kurze Baumwollhose und Hosenträger über einem kurzärmeligen Hemd, die langen Haare hatte er zu einem Zopf gebunden. Das Trio machte einen erstaunlich gelassenen und selbstsicheren Eindruck. Sie antworteten ruhig und deuteten mehrmals mit einer Kopfbewegung auf Hans Minker.
Der Vierte, ein auffallend dünner, hochgewachsener Junge, hielt sich etwas abseits. Man konnte sein Gesicht nicht sehen, weil er den Kopf gesenkt hielt und die langen Haare es wie ein Vorhang verdeckten. Gerald hatte den unbestimmten Eindruck, ihn schon einmal gesehen zu haben. Er trug schwarze Jeans, die unter dem Knie abgeschnitten waren und stockdünne Unterschenkel frei ließen. Auch das T-Shirt war pechschwarz, die Frontseite zierte ein Schwert, von dem Blut tropfte. Eine bunte Schultasche lag neben ihm auf dem Boden.
Erst als sich der Polizist ihm zuwandte, wurde Geralds Eindruck bestätigt. Es war der Sohn von Wilfried Scharnagl. Mit unruhiger, zitternder Stimme beantwortete er die Fragen des Polizisten. Währenddessen suchte Gerald den Blickkontakt zu Batzko und wies mit hochgezogenen Augenbrauen auf den Jungen. Doch Batzkos Reaktion ließ erkennen, dass er sich nicht an ihn erinnerte.
Gerald ließ den Polizisten in Ruhe die Fragen stellen. Scharnagls Sohn bestätigte die Aussagen seiner Freunde. Ja, es sei richtig, zwei Flaschen seien ihnen aus den Händen gefallen und auf den Steinen zerbrochen, weil sie sie zum Kühlen in die Isar gelegt hatten. Sie hätten überhaupt keine Zeit gehabt, die Scherben zusammenzusuchen. Der Typ da – Minker – hätte sich ohne Vorwarnung auf sie gestürzt, als hätte er regelrecht auf der Lauer gelegen und nur auf den Moment gewartet, um einzugreifen.
Gerald beobachtete den Jungen. Auch er hatte den Kommissar offenbar erkannt. Er wirkte nervöser und griff sich mehrmals in die Haare.
Als der Kollege von der Streife die Befragung beendet und den Jugendlichen die Ausweise zurückgegeben hatte, schloss Scharnagls Sohn sich seinen Freunden an und wollte auf direktem Weg zu ihrem Platz an der Isar zurückkehren. Doch Gerald hielt ihn am Oberarm fest, der sich so weich und schmal anfühlte, dass er instinktiv an Severin denken musste.
»Wir waren vor ein paar Tagen bei deinem Vater, Wilfried Scharnagl.«
»Kann sein.« Die Antwort klang gespielt gleichgültig, aber Gerald hatte keine Zweifel, dass der Junge ihn wiedererkannt hatte.
»Wie heißt du?«
»Wendelin.«
»Wieder ein Vorname, der mit W anfängt. Aber ansonsten hast du mit der Familientradition nicht viel zu tun, oder täusche ich mich?«
»Geht Sie das etwas an?« Die Stimme des Jungen bellte förmlich. Sofort senkte er den Kopf und verzog die Lippen, als wäre ihm der Ausbruch peinlich. Die anderen drei waren mittlerweile zu ihrem Platz an der Isar zurückgekehrt, ohne sich ein einziges Mal nach Wendelin umgedreht zu haben.
»Seid ihr eigentlich befreundet?«
»Wer? Ach so, die.« Wendelin zuckte die Achseln. »Sie sind von meiner Jahrgangsstufe in der Schule. Aber wir haben uns hier zufällig getroffen.«
»Bist du alleine zur Isar gefahren? Nicht, dass es strafbar wäre, versteh mich nicht falsch.«
Batzko stand in einem gewissen Abstand von seinem Kollegen und spielte mit seinem Handy. Gelegentlich sah er auch gelangweilt auf den Fluss.
»Ich mache nicht so viel mit den anderen«, sagte Wendelin Scharnagl zögernd, aber ohne aggressiven Unterton. »Ich suche mir hier einen ruhigen Platz, wenn ich etwas für die Schülerzeitung oder unsere Theatergruppe schreiben will. Das ist cool, so nahe am Wasser. Da habe ich die besten Ideen.« Er drehte sich bereits von Gerald weg, als würde er nur auf den Moment warten, endlich wieder alleine zu sein.
»Okay.« Gerald musste einen Impuls unterdrücken, dem Jungen einen Arm um die Schultern zu legen. »Sag mal, hast du zufällig ein Exemplar eurer Schülerzeitung dabei? Auf meiner alten Schule gab es auch so eine Zeitung, aber ich hatte einfach nicht den Mut, da mitzumachen. Ich finde es gut, wenn ihr euch zu Wort meldet.«
»Ich weiß nicht so richtig«, Wendelin Scharnagl zögerte.
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