Der Toten tiefes Schweigen
um den solltest du dir am allerwenigsten Sorgen machen.«
»Judith …«
»Oh, Verzeihung, ja. Bein gebrochen. Unangenehm.«
»Sie hat verdammtes Glück gehabt. Sam hat recht. Sie beide haben verdammtes Glück gehabt.«
»Ich möchte meinen, dass sie hier gut versorgt wird, Morgenmantel hinter der Badezimmertür und so.«
»Manchmal bist du ein richtiges Stück Scheiße. Ich kenne dich als Bruder nicht wieder, wenn du solche Sachen von dir gibst. Ich kann mich jetzt nicht mit dir abgeben, aber wage ja nicht, Dad etwas zu sagen. Ach, mach, dass du rauskommst.«
Er fühlte sich wie früher als Kind, versucht, etwas zu sagen, obwohl er wusste, es sollte nicht ausgesprochen werden, aber unfähig, an sich zu halten. Irgendetwas trieb ihn dazu. Natürlich hätte er das, was er gesagt hatte, nicht äußern dürfen, nicht jetzt, nicht Cat gegenüber. Überhaupt nie. Doch von dem Augenblick an, als Sam das Bad erwähnt hatte, war ihm klar gewesen, dass er es tun würde. Er hatte sich mitreißen lassen.
Er ging die Treppe hinunter, wütend über sich selbst.
»Dad?«
»Hier drinnen mit der Karaffe.«
Er ging in das Arbeitszimmer. Richard hatte das Kaminfeuer, neben dem er jetzt saß, noch einmal angestochert. Er wirkt jünger, dachte Simon, nicht plötzlich gealtert, wie man es erwarten könnte, sondern plötzlich jünger.
»Ich fahr lieber zurück, die rufen mich bestimmt an, und ich muss früh zu einer Pressekonferenz.«
Sein Vater blickte im Zimmer umher. »Du musst es wissen.«
Sonst nichts. Hätte er gesagt, nein, bleib doch, ich möchte mit dir reden, wir sehen uns so selten, wir unterhalten uns nicht oft genug …
Nein. Er würde nicht bleiben, jetzt nicht.
»Gute Nacht.«
Als er den Wagen wendete, sah er, wie im Arbeitszimmer das Licht ausging.
In seiner Wohnung blinkte der Anrufbeantworter. Simon wartete, bis die Kirchenglocke zu Ende geschlagen hatte, bevor er ihn abhörte.
»Sie haben zwei neue Nachrichten. Erste Nachricht.«
»Sergeant vom Dienst Lewis, Chef. Meldung, dass die Feuerwehr noch zwei Leichen aus den Trümmern des Fahrgeschäfts geborgen hat. Außerdem hat Chief Constable Devenish die Pressekonferenz auf halb neun vorverlegt. Danke.«
»Zweite Nachricht.«
Pause. Atemgeräusch.
»Oh – Simon. Hallo. Ich bin’s, Jane. Jane Fitzroy. Ich habe nur gerade die Nachrichten gehört. Ich dachte nicht, dass Sie zu Hause sind, offensichtlich, aber … Ich wollte nur sagen, wie furchtbar. Und meine Gebete und Gedanken sind bei allen. Na ja … Das ist alles, und ich … ich werde Sie irgendwann erreichen. Und ich bin’s, Jane. Falls Sie es nicht verstanden haben. Danke. Gute Nacht, Simon.«
[home]
Siebenundfünfzig
E r lachte, während er fuhr. Er nahm den Weg hintenherum, nicht durch die Stadt, sondern einen sechs Kilometer weiten Umweg, damit er sich der Ausfallstraße vom anderen Ende her über das Moor näherte. Das musste sein. Keine Risiken. Hier draußen kannte ihn niemand. Und er lachte. Manchmal grinste er. Hin und wieder lächelte er. Doch meistens lachte er lauthals.
Es war gut gewesen. Besser als gut. Alle waren sie da gewesen, wie bestellt und nicht abgeholt, und sie hatten auf ihn gewartet, ihn erwartet. Hatten sie ernsthaft gedacht, er würde auf dem Jahrmarkt auch nur mit einer Wasserpistole schießen? Er hatte nicht einmal den Schießstand ausprobiert, obwohl er daran vorbeigegangen war und zweimal Idioten zugesehen hatte, die aus drei Meter Entfernung kein Scheunentor getroffen hätten. Egal. Ihm hatte es Spaß gemacht. Und denen auch.
Was hatte der ganze Aufwand gekostet, einen Scharfschützen zu schnappen, der nie schießen würde? Es war nicht seine Art, beliebig auf eine Menge loszugehen. Verrückte machten das, und er verachtete sie. Jugendliche in Amerika, die auf einen Schulhof gingen und ein Dutzend unschuldige Kinder umnieteten, Jungen auf dem College, die mit einer Maschinenpistole auf ihre Kommilitonen losgingen. Sie waren krank. Sie waren durchgedreht. Die gehörten lebenslang hinter Gitter, nur dass sie selten den Tag überstanden, sie richteten die Waffe gegen sich selbst. Fast immer. Und das war etwas, was er niemals tun würde, denn er war nicht krank, nicht durchgedreht, kein Spinner, stand nicht unter Drogen. Er hatte eine Absicht, er hatte Pläne und Ziele und Methoden. Er war anders.
Zu wissen, dass er auf den Jahrmarkt gehen und sicher sein konnte, absolut sicher, dass nichts passieren würde, war gut gewesen. Er lachte.
Doch dann, als
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