Der Toten tiefes Schweigen
weniger, als man erwarten könnte. Sie haben inzwischen viele rausgeholt.«
»Schlafen Sie ein bisschen. Um neun Uhr gebe ich eine Pressekonferenz, kommen Sie bitte dazu.«
Simon nickte. Er half ihr in den Wagen, bevor er zum Kathedralenhof ging.
Sobald er den Bereich der Scheinwerfer verlassen hatte, war sein Blick nach oben gewandert, und er hatte gesehen, dass der Himmel sternenklar war, eine schmale Mondsichel tauchte über dem Turm der Kathedrale auf. Erst als er an seinen Wagen kam, merkte er, dass er vor Kälte zitterte. Er fragte sich, ob er direkt hineingehen, Hallam House anrufen und dann zu Bett gehen sollte. Doch am nächsten Tag wäre er rund um die Uhr beschäftigt, und so würde es den Rest der Woche weitergehen. Er musste sie jetzt sehen, und sei es noch so spät.
Sein Vater und Cat saßen am Küchentisch, Teekanne und Tassen vor sich. Sam lag ausgestreckt auf dem Schoß seiner Mutter, die Beine und Füße auf dem Stuhl neben ihr. Er richtete sich auf, als Simon eintrat.
»Weißt du, wie viele Tote es gegeben hat? Judith könnte ebenso gut tot sein, und ich auch, wir sind gerade noch so davongekommen. Der Feuerwehrmann hat gesagt, mein Stündchen hätte noch nicht geschlagen.«
Simon setzte sich neben Cat und legte ihr die Hand auf den Arm. »Du solltest im Bett sein. Bleibt ihr hier?«
»Ja. Chris schläft. Ich habe oben die Betten gerichtet.«
»Hast du vor, ebenfalls hierzubleiben?«, fragte Richard Serrailler. »Wenn, dann könntest du sicher einen Whisky vertragen.«
Simon zögerte. Da gab es noch sein früheres Zimmer, in dem er das letzte Mal übernachtet hatte, nachdem er seine Mutter bei dem Ausrichten eines Wohltätigkeitsabendessens unterstützt hatte.
»Du musst unbedingt bleiben«, sagte Sam. »Wir können zusammen überlegen, wie die Geisterbahn zusammengebrochen ist, ich habe darüber nachgedacht – weißt du, womit es wahrscheinlich angefangen hat? Es …«
»Sam, können wir das verschieben?«
»Okay, auf wann? Es ist tatsächlich sehr interessant, wie Gebäude und Sachen manchmal einfach einkrachen. Das kann an einem baulichen Defekt liegen, aber auch an einer Erderschütterung. Glaubst du, da war ein Erdbeben?«
»Das ist eine Möglichkeit, aber davon wurde mir nichts berichtet, Sambo.«
»Im Internet würde es stehen, da gibt es eine sehr gute seismologische Website, wir könnten nachschauen.«
»Könnten wir, aber nicht jetzt. Ich werde noch ein Glas mit deinem Großvater trinken, und mir wäre wirklich lieber, wenn du deine Mutter aufforderst, ins Bett zu gehen. Sie steht ein wenig unter Schock, weißt du?«
»Gut. Verstehe. Schock kann zeitlich verzögert eintreten, wusstest du das? Bei älteren Menschen sowieso. Mum, ich glaube, du stehst vielleicht unter Schock und brauchst jetzt Schlaf. Menschen, die unter Schock stehen, brauchen Ruhe – ich nehme an, sogar ich brauche vielleicht ein bisschen, mein Arm fängt wieder an, weh zu tun.«
»Si, in unserem Zimmer ist ein Ende der Vorhangstange heruntergefallen, kannst du dich darum kümmern?«
Er folgte ihnen nach oben. Sam war still geworden.
»Ich habe das Gefühl, die Eigernordwand zu erklimmen«, sagte Cat.
»Davon habe ich auch schon gehört, die Nordwand ist doch …«
»Lass gut sein, Sam.«
»Oh. Das ist ziemlich viel, worüber wir morgen sprechen müssen, die Möglichkeit eines Erdbebens, die baulichen Schwächen von Fahrgeschäften auf Jahrmärkten, die …«
»… relative Steilheit einer Treppe im Vergleich zur Eigernordwand. Flitz in das blaue Bad, ich habe unser ganzes Zeug da hingestellt.«
»Och, aber mir gefällt das große Bad am besten, kann ich nicht das benutzen, das habe ich immer gemacht, als Granny noch hier war, und ich weiß, es ist jetzt das Bad von Grandpa und Judith, aber die hätten nichts dagegen …«
»Sam, jetzt reicht es. Ich bin erschöpft und brauche mein Bett. Ins Bad. Marsch!«
Er ging.
Als Simon das Ende der Vorhangstange anhob, warf er einen Blick auf das Doppelbett, in dem Chris lag, eingerollt auf der Seite. Sein Schädel sah wund aus. Die Haare waren abrasiert, und sein Kopf war überzogen mit langen, gewundenen Nähten.
»In diesem Zustand wird er bis gegen neun Uhr sein. Er hat ziemliche Hämmer gekriegt.«
Sein Schwager sah anders aus, dachte Simon, und nicht nur wegen seines Kopfes. Er schien weit weg an einem anderen Ort zu sein. Simon wandte den Blick ab.
»Armer Dad«, sagte Cat. »Zu viel, um damit fertig zu werden.«
»Dad? Himmel,
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