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Der Toten tiefes Schweigen

Der Toten tiefes Schweigen

Titel: Der Toten tiefes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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er auf einem geraden Stück beschleunigte, fiel ihm ein, dass wegen irgendeines Volltrottels acht Menschen tot und Dutzende verletzt waren. Wieder hörte er die Schreie. Er hörte die Hilferufe tief unter dem eingestürzten Fahrgeschäft. Es war die Art Gemetzel, wie es verstörte Jugendliche anrichteten, die in Kirchen und Baseballstadien und Klassenräume rannten. Der elektrische Stuhl war das einzig Richtige für sie, und er verachtete sie, weil sie sich selbst erschossen und es sich leichtmachten.
    Und doch. Er lächelte wieder, als er sich erinnerte.
    Heute war sein Timing gut gewesen. Es war kalt und hell, kein Dunst, kein Wind. Klare Luft. Er stellte das Motorrad außer Sichtweite in einer Senke ab, nahm seine Tasche und ging den Rest des Weges zu Fuß den steilen Hang hinauf. Oben drehte er sich um und warf einen Blick über die Landschaft. Hoch über ihm schwebten zwei Bussarde, die ausgebreiteten Schwingen flach und steif wie die Flügel einer Windmühle. Die Stadt in der Ferne war eine schwache, rauchblaue Linie. Er hatte das Gefühl, von hier aus abheben zu können, die Arme ausbreiten, sich in die Höhe schwingen und auf dem Luftstrom dahingleiten.
    Er öffnete die Tasche und holte Zigarettendreher und Tabak heraus. Blättchen. Leckte. Rollte. Zündete ein Streichholz an. Der Geruch des Rauchs und der Geschmack der Zigarette waren mit nichts zu vergleichen. Rauchen an der frischen Luft. Etwas Warmes an der frischen Luft essen. Unvergleichlich.
    Drinnen rauchte er nie.
    Er legte sich auf den Rücken und blies einen Rauchring in den Himmel. Er dachte an nichts, doch er fühlte, und sein Gefühl war eine unbestimmte Wärme und Befriedigung, die Geist und Körper erfüllte. Er war glücklich. Alles lief bestens. Er konnte gut planen, und das zahlte sich aus. Idioten, die so etwas planlos angingen, Opportunisten, die scheiterten, weil sie nicht an jeden möglichen Fehler gedacht hatten. Man durfte nichts dem Zufall überlassen. Daran hielt er sich.
    Hier zu liegen und zu wissen, dass ihn jedes Mal, wenn er einen Teil seines Plans ausführte, Alison dazu gezwungen hatte, tat gut. Er war kein Gewalttäter. Er brauchte keine alberne Rache. Das war etwas für Versager. Doch das, was Alison ihm angetan hatte, war der Grund für alles. Alison war dafür verantwortlich. Sollte je die Zeit für ihn kommen, darüber zu sprechen, dann würde er das sagen, und er würde Einzelheiten preisgeben, wortwörtlich, damit es absolut klar war. Falls man ihn jemals schnappen würde …
    Er setzte sich auf. Er nahm die Selbstgedrehte aus dem Mund und lächelte. Lachte. Konnte gar nicht wieder aufhören zu lachen.
    Sorgfältig drückte er die Zigarette aus und griff nach der Tasche.
    Im Dickicht war es schön. Das Licht sickerte durch die Bäume auf das herabgefallene Laub, obwohl es noch keinen Herbststurm gegeben hatte, der den größten Teil von den Ästen gerissen hätte. Er kannte die Stelle. Nichts hatte sich verändert.
    Er öffnete die Tasche, nahm die kleinen, weißbemalten Dosen heraus und stellte sie in einer Reihe auf den umgestürzten Baum. Dann ging er dreißig Schritte zurück, nahm die Tasche mit.
    Kurz darauf lag er auf dem Bauch, sorgfältig in Stellung. Die weißen Dosen leuchteten in der Sonne.
    Er richtete die Waffe aus. Wartete.
    Feuer!
    Feuer! Feuer! Feuer! Feuer! Feuer! Feuer!
    Alle.
    Er lächelte.
    Stand auf und stellte die Dosen wieder hin, ging zurück. Diesmal vierzig Schritte. Die Blätter raschelten leise, als er sich hinlegte. Neben seiner Hand lag eine Kastanie in hellgrüner Schale. Er lächelte.
    Richtete die Waffe wieder aus. Die Dosen erwiderten sein Lächeln. Schön. Weiß.
    Feuer!

[home]
    Achtundfünfzig
    A m Montag hatte er schon um halb zwölf Schulschluss.
    »Kommst du mit in die Stadt?«
    Tom zögerte und blieb neben seiner Yamaha stehen.
    »Lenk dich ab, Mann, du brauchst das. Sieh dich doch an. Hör zu, deine Mutter wird wieder gesund.«
    »Ich weiß.«
    »Gut, also? Lass das Motorrad stehen und komm mit in die Stadt. Hast du Geld dabei?«
    Tom zuckte mit den Schultern. Er hatte Geld. Im Krankenhaus hatte seine Mutter ihn aufgefordert, zwanzig Pfund aus ihrer Tasche zu nehmen. Er hatte schon ablehnen wollen, als Phil aufgetaucht war und ihn gefragt hatte, ob er flüssig sei. So eine Frechheit. Tom hatte die Zwanzigpfundnote genommen und war gegangen, ohne zu antworten. Was ging Russell das an?
    »Wohin willst du?«
    »Ins
Rattlers?
«
    Luke war seit der ersten Klasse sein Freund. Das

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