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Der Toten tiefes Schweigen

Der Toten tiefes Schweigen

Titel: Der Toten tiefes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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konnte, was in seinen Augen die Wahrheit war. Am meisten aber machte er sich Sorgen. Er wusste, dass er dafür verantwortlich war, seine Mutter und seine Schwester zu Jesus zu bringen, sie zu erretten, und er hatte versagt.
    Er bremste sich. Nein. Bisher versagt, nicht auf Dauer. Wenn er in die Staaten ging und das Bibelcollege besuchte, würde er lernen, wie man Erfolg hatte, und wenn er zurückkam, würde er es wieder versuchen. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, dass sie da draußen im Dunkel der Unwissenheit der Verdammnis anheimfielen. Doch er wusste, was vielleicht passieren würde, während er nicht da war. Er hatte sie zusammen gesehen. Lizzie glaubte daran. Lizzie hielt es für eine ausgezeichnete Idee, weil dann gewährleistet sei, dass Mum nicht allein war, wenn sie beide aus dem Haus wären. Vielleicht war es ja auch nicht so verkehrt, mit jemandem zusammenzukommen. Dem Richtigen. Ein Bild von Phil Russell kam ihm in den Sinn, wie er feixte, sarkastischen, überheblichen Spott im Gesicht, und Wut wallte in ihm auf. Er ging an seinen Nachttisch, kniete sich vor das Kreuz, das darauf stand, und schloss die Augen.
    »Jesus Christus, Herr und Erlöser, der du dein Blut für meine Erlösung gegeben hast …« Er verstummte. Wofür betete er? Dass seine Mutter Phil Russell nicht heiraten würde? »Lieber Jesus Christus, sorge dafür, dass Mum und – und Phil dich kennenlernen und dich bitten, in ihr Leben zu kommen, auf dass sie neu geboren werden. Lass sie das Licht sehen. Nimm Satan aus Phils Herz und Verstand und reinige ihn mit deinem heiligen Blut. Lob und Preis. Amen.«
    Sein Herz stand in Flammen vor Liebe, Inbrunst und Hoffnung. Später war er für ein Jugendgebet eingeteilt, und er würde sie bitten, Fürbitte zu leisten. Heute Abend leitete er die Gruppe zum ersten Mal, und allein der Gedanke daran und an das in ihn gesetzte Vertrauen entzündete ihn.
    Die Haustür schlug zu. »Tom, bist du oben?«
    Er stand auf für den Fall, dass Lizzie hereinstürmte. Er sollte sich nicht schämen oder sich albern vorkommen, wenn er auf den Knien erwischt wurde, aber so war es immer.
    Er ging hinunter.
    »Hallo.«
    Lizzie bestückte den Toaster. Sie hielt eine Scheibe hoch.
    »Zwei«, sagte Tom. »Hey, Liz, warum kommst du nicht mit?«
    »Wohin?«
    »Jugendgebet. Heute Abend leite ich es.«
    »Schön.«
    »Es wäre gut, wenn du mitkommen würdest.«
    Die Toastscheiben sprangen heraus und qualmten ein wenig. »Scheiße, das machen sie dauernd, sie hängen irgendwo fest, und dann brennt die Seite an. Immer nur die eine Seite. Kannst du ihn dir mal ansehen?«
    »Hab ich schon. Konnte nichts feststellen. Wir brauchen einfach einen neuen Toaster.«
    »Marmelade oder Marmite?«
    »Marmite. Und, kommst du jetzt mit?«
    Lizzie öffnete den Wandschrank. »Träum weiter. Ich besuche Mum, aber ich käme sowieso nicht mit. Du solltest auch zu ihr gehen, das wäre christlicher.«
    »Ich war heute Nachmittag da.«
    »Oh. Na gut. Wie ging es ihr?«
    »Hatte anscheinend noch ziemliche Schmerzen. War aber kein Arzt weit und breit.«
    »Personalmangel, was? In solchen Einrichtungen muss man sich zu Wort melden.«
    »Er war da.«
    »Gut.«
    »Nicht gut.«
    »Fang nicht schon wieder an, Tom.«
    Tom hob beide Hände.
    »Hab’s gerade in den Nachrichten gehört. Heute ist wieder eine gestorben … Sie war auf der untersten Ebene, als alles einstürzte.«
    »Neun.«
    »Nie wieder werde ich auf so einem Ding fahren. Wahrscheinlich werde ich nie wieder in die Nähe eines Jahrmarkts gehen. Viel zu gefährlich.«
    »Ganz Lafferton ist gefährlich, oder? Den Schützen haben sie auch noch nicht geschnappt.«
    »Die Royals kommen jetzt nicht zu der Hochzeit, habe ich gehört.«
    »Das kann man ihnen nicht verdenken. Sie sind selbst noch nicht allzu lange verheiratet, oder? Er könnte gezielt einen Schuss auf Charles und Camilla abgeben. Er scheint nicht viel für Hochzeiten übrigzuhaben, unser Lafferton-Scharfschütze.«
    »Mein Gott, ich hoffe, sie kriegen ihn, bevor Mum und Phil durch den Mittelgang schreiten.«
    Geräuschvoll schob Tom seinen Stuhl zurück und verließ die Küche.

[home]
    Neunundfünfzig
    I nfolge des Unfalls auf dem Töpfermarkt von Lafferton am vergangenen Samstag, bei dem eine Geisterbahn einstürzte, ist eine weitere Person verstorben. Damit steigt die Anzahl der Toten auf neun. Tanya Lomax, fünfundzwanzig Jahre alt, war mit ihrem Mann Dan in der Geisterbahn, als ihr Wagen sich beim Einsturz des

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