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Der Toten tiefes Schweigen

Der Toten tiefes Schweigen

Titel: Der Toten tiefes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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umher, dann gelang es ihm, mit der Taschenlampe hineinzuleuchten, doch er sah nur ein heilloses Durcheinander.
    »Können Sie mich noch hören?«
    Keine Antwort.
    »Strecken Sie die Hand hoch.«
    Schweigen.
    Er wischte sich den Schweiß vom Gesicht.
    »Ich bin noch hier. Ich bin Clive. Können Sie mich hören?«
    Von unten rief jemand, und eine Frau schrie: »O Gott, o Gott. O Jason, o Gott.«
    Dann spürte Clive ohne Vorwarnung, wie etwas seine Hand berührte, ein Stück zu seinem Handgelenk vorrutschte und einen kurzen Moment lang zupackte.
    »Jaaaaaa.«
    Allmählich gingen Scheinwerfer an, und nun wurden die Leitern über den zusammengebrochenen Ständen hochgefahren, eine nach der anderen. Ein Kind weinte in der Dunkelheit tief unter den umgestürzten Trägern.
    »Ich bin Clive«, sagte er. »Können Sie meine Hand noch einmal erreichen?«
    Kurz darauf spürte er, wie sein Handgelenk schwach umfasst wurde. Vorsichtig kroch er ein paar Zentimeter vor, stellte die Taschenlampe ab und griff mit beiden Armen ins Loch.
    »Packen Sie zu«, sagte er. »Packen Sie fest zu und bleiben Sie so. Können Sie sich bewegen?« Er glaubte, eine Frauenstimme zu hören. »Sind Ihre Beine frei?« Die Frau stöhnte vor Schmerz, doch dann bewegte sich etwas, und plötzlich knackte es. »Vorsichtig. Langsam, machen Sie langsam. Können Sie Ihre Beine bewegen?«
    Er spürte, wie der Griff um seine Handgelenke fester wurde. Er packte zu. Jemand hielt hinten seine Beine, und neben ihm tauchte eine Leiter auf.
    »Sie schaffen es«, sagte er in das Loch hinein. »Sie sind fast da. Versuchen Sie nur, Ihre Beine ganz vorsichtig frei zu bekommen. Tun Ihre Beine weh?«
    Er konnte nicht verstehen, was sie sagte. Schweiß tropfte ihm vom Gesicht auf seine Hände und auf die, die seine Handgelenke packten. Ein Strahl leuchtete auf und fing das schwarze Loch ein, hielt es fest, und in dem grellen weißen Licht sah er das Durcheinander aus Trümmern, das Rad und die Frauenhände um seine Handgelenke. Weiter unten erblickte er eine grüne Jacke. Dunkle Haare. Ihre Beine, das eine frei, das andere so weit abgeknickt, dass es nicht zu sehen war. Seine Handgelenke brannten, und sein Rücken fühlte sich an, als würde jemand einen Betonklotz daraufdrücken, doch allmählich, ganz allmählich, begann er die Frau aus der dunklen Grube zu ziehen, quälend langsam. Dann streckten sich noch andere Arme vor und entlasteten ihn.
    »Zieht nicht zu fest, ihr linkes Bein ist nicht frei. Passt auf, passt auf.«
    Doch nach einer Ewigkeit im Dunkeln waren ihr Kopf und dann die Schultern oben an der kühlen Luft, im leuchtenden Scheinwerferlicht, und jemand sägte unten das Metall und das Holz ab, um ihr linkes Bein zu befreien.
    »Clive«, sagte sie schwach.
    »Das bin ich. Wir haben es fast geschafft. Sie sind jeden Augenblick draußen.«
    »Bein ist frei, alles klar. Sei vorsichtig, vielleicht hat sie sich den Knöchel gebrochen.« Das Sägegeräusch verstummte, obwohl sie es ringsum vernahmen, über ihnen, unter ihnen, während die Feuerwehrmänner an den Trümmern arbeiteten.
    »Mein Gott, es tut weh. Mein Gott.«
    »Sie machen Ihre Sache ausgezeichnet. Ganz großartig. Kommen Sie mit.«
    »Clive? Sie sind Clive? O Gott, vielen Dank.«
    Die anderen hinter ihnen zogen sie sanft und langsam auf einen flachen Bereich des Holzgerüsts. Die Buchstaben GEIST waren in Weiß und Blutrot auf das Holz gemalt.
    »Okay, Schätzchen, Sie sind unverletzt«, sagte Clive. »Es ist vorbei.«
    »Sie sind Clive?« Sie war wie betäubt.
    »Ja. Wer sind Sie, Schätzchen?«
    »Helen«, antwortete sie.

[home]
    Sechsundfünfzig
    S ie hören Radio Bevham. Wir unterbrechen unsere Nachtsendung für eine dringende Meldung über einen schweren Unfall auf dem Töpfermarkt in Lafferton. Berichten zufolge ist ein Fahrgeschäft eingestürzt, und es gibt zahlreiche Verletzte. Wir wissen noch nicht, wie viele und ob es Tote gibt. Rettungsdienste aus drei Grafschaften sind am Ort des Geschehens, und von dort meldet sich nun unsere Reporterin Cathy Miles.
    Cathy, ich nehme an, Sie waren tatsächlich vor Ort, als heute Abend der Unfall passierte, stimmt das?«
    »Hallo, David. Ja, das stimmt. Ich wohne in einem Vorort von Lafferton und war auf dem Töpfermarkt, der das ganze Gebiet um die Kathedrale herum belegt …«
    Simon schaltete das Autoradio aus und blieb noch kurz im dunklen Wagen sitzen. Er atmete ein paarmal tief ein und langsam wieder aus und spürte, wie die Anspannung von ihm wich.

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