Der Toten tiefes Schweigen
unter die Bodendielen und Dachziegel und um die Fensterrahmen fuhr. Geh zu Bett, sagte sie sich. Jetzt, oder du wirst morgen zu nichts zu gebrauchen sein.
Sie schauderte. Ging nicht zu Bett, sondern griff stattdessen nach dem Hörer, der neben ihr lag, und drückte die Drei.
»Serrailler«, hörte sie sofort.
»Dann habe ich dich nicht geweckt.«
»Hallo. Nein, das war vor einer halben Stunde. Irgend so ein Trottel fährt mit einem gestohlenen Jeep durch die Stadt und schießt mit einem Luftgewehr aus dem Fenster.«
»Nett.«
»Keine Bange, er wurde geschnappt.«
»Warum hat man dich angerufen?«
»Die informieren mich bei der kleinsten Fehlzündung. Aber deshalb rufst du nicht an. Was ist los?«
»Es ist drei Uhr.«
»Niedergeschlagen?«
»Sehr.«
»In einer Viertelstunde.«
Er war schneller da. Er wehte mit dem Wind herein und kam direkt zu ihr, die Arme ausgestreckt. Sie musste nichts sagen. Er hätte verstanden, wenn sie sich schlafen gelegt hätte, aber sie musste reden, und er hörte einfach zu, ohne zu unterbrechen, reichte ihr ein Taschentuch, kochte Tee und hörte die ganze Zeit zu.
Am Ende saß sie da, bar aller Worte und Gefühle. Erschöpft trank sie ihren Tee.
Doch dann fiel ihr noch etwas ein: »Tut mir leid, dass ich dich gestern Abend so angefahren habe. Wegen Dad.«
Er zuckte mit den Schultern.
»Si, du musst das akzeptieren. Er ist glücklich. Judith tut ihm sehr gut. Ma hätte sich gefreut, verstehst du? Sie wäre erstaunt, aber erfreut gewesen.«
»Ich weiß. Das ist es auch nicht.«
»Du denkst, sie nimmt Mas Stelle ein.«
»Es ist das Haus.«
»Dir liegt das Haus mehr am Herzen als Dad?«
»Vermutlich. Schöne Scheiße.«
»Ja.«
»Das spielt alles keine Rolle. Nicht bei dem hier. Wie lange wird das noch so weitergehen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich nicht so lange, wie ich erwartet habe. Sie haben ihm anfangs ein paar Monate gegeben, aber sie können sich nie sicher sein, und ich nehme an, sie haben sich geirrt. Nicht ihre Schuld.«
»Warum ist er so entschieden gegen das Hospiz?«
»Ich weiß es nicht genau. Seinen Patienten hat er es immer ans Herz gelegt. Ich glaube, er will einfach lieber zu Hause bleiben. Wir kommen damit zurecht. Das Hospiz bietet häusliche Betreuung an, und Dickon Farley ist sein Arzt – ich bin seine Frau, aber in diesem Stadium ist da kein großer Unterschied. Dickon wird die Entscheidungen treffen, ich werde zur Stelle sein. Ich will ihn nicht wegschicken. Es sind nur ein paar Wochen.«
»Und die Kinder?«
»Die müssen damit leben … Sam und Hannah jedenfalls. Ich kann sie nicht vor allem beschützen, obwohl wir dafür sorgen werden, dass sie ihn nicht sehen, wenn sie nicht sollten. Aber sie wissen Bescheid. Ich habe mit ihnen darüber gesprochen. Sam hört zu und sagt nicht viel, Hannah sagt viel, aber sie hat nicht zugehört, und sie hat es noch nicht richtig in sich aufgenommen. Für sie wird es schlimm werden.«
»Am schlimmsten für dich.«
»Adam kommt übermorgen mit Chris’ Mutter her. Ich möchte nicht, dass sie zu spät kommen, aber ich vermute, dass sie es eigentlich nicht verkraften kann. Du kennst Chris’ Mutter – sie sieht nur die angenehmen Seiten, weil es nur die geben darf. Ich kann am Telefon nicht mir ihr sprechen, weil sie darauf beharrt, es sei alles nur eine Frage des positiven Denkens. Darin ist sie groß, meine Schwiegermutter. Ich wünschte, ich wäre es auch.«
»Du bist Realistin. Das musst du auch sein. Ich auch. Ich muss es.«
»Es macht dir zu schaffen, nicht wahr?«
»Ja. Das würde ich so leicht niemandem eingestehen, aber er hat die Oberhand gewonnen. Er lacht uns aus, ich kann ihn hören.«
»Was glaubst du?«
»Er wird einen Fehler machen. Das machen sie immer. Er wird einen Fehler machen, oder er wird ausrasten und mit einer Waffe durch das Einkaufszentrum rennen und sie dann gegen sich selbst richten. Aber erst wenn er ein Massaker angerichtet hat. Hast du gezählt, wie oft die Medien das Wort benutzen, jedes Mal wenn sie berichten? Sie zerren jedes Blutgemetzel an einer amerikanischen Highschool oder in einer Kleinstadt ans Licht und erschrecken alle zu Tode. Offenbar haben zwei Hochzeiten einen privaten Sicherheitsdienst beauftragt – es heißt, eine Hochzeitsgesellschaft sei bewaffnet gewesen, obwohl wir das nicht mit Bestimmtheit wissen. Eine andere hat ihre Hochzeit verschoben, bis alles vorbei ist. Die Geschäfte sagen, sie hätten noch nie so ruhige
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