Der Toten tiefes Schweigen
Samstagnachmittage erlebt, und die Sache auf dem Töpfermarkt hat ein Übriges getan. Die ganze Zeit schaue ich mich um, verstehst du? Ich schaue mich um und versuche, mich in ihn hineinzuversetzen, zu denken, ob ich es hier mal probiere, warum gehe ich nicht hin und erschieße jemanden von da, was mache ich als Nächstes, wen schieße ich diese Woche nieder? Ich kann vermuten. Wir alle können nur vermuten. Doch wir können nicht jedes Mal eine bewaffnete Sondereinheit zur Stelle haben, wenn ein Spielzeuggewehr losgeht.«
»Wie ich hörte, haben die Royals für die Barr-Hochzeit abgesagt.«
»Man hat ihnen dazu geraten, aber wir wissen offiziell noch nichts. Der Lord Lieutenant steht kurz vorm Schlaganfall, seine Frau vor einem Nervenzusammenbruch, Chief Constable Devenish wünscht, sie würden die Hochzeit überspringen und gleich in die Flitterwochen fahren.«
»Dort wird nichts geschehen.«
»Wahrscheinlich nicht, aber so zu denken mindert den Druck nicht.«
Von oben hörten sie Chris rufen, und im selben Augenblick klingelte Simons Handy.
Chris stand neben dem Bett, und als Cat ins Zimmer kam, sagte er: »Bitte …«
»Ich bin hier. Was ist los?«
Doch er setzte sich einfach hin, legte sich ins Bett, ohne zu antworten, und schlief ein. Cat zog die Bettdecke über ihn und ging hinaus.
Die Küche war leer. Sie schaute aus dem Fenster und sah, dass Simon weggefahren war. Mephisto war noch draußen. Der Wind blies nach wie vor stark, bewegte die Ränder der gelben Vorhänge und rappelte an der Katzenklappe.
Sie legte sich auf das Sofa, verknotet vor Elend und Angst, und wartete auf das erste Licht.
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Zweiundsechzig
D as ist praktisch ein Präzedenzfall«, sagte Chief Constable Devenish.
»Es hat Schießereien gegeben, klar – Dunblane. In den Vereinigten Staaten werden sie zur Gewohnheit. Einzelschützen eröffnen das Feuer in einem Schulhof, einem College oder einer Einkaufszone, doch fast jedes Mal richten sie die Waffe gegen sich selbst. Nicht in diesem Fall.«
Sie schaute in die Runde. Finstere Mienen. Die Medien waren in voller Stärke zurückgekehrt. Die BBC hatte einen halbstündigen Beitrag über Schusswaffendelikte gesendet, begleitet von Bildern aus Lafferton. An höchster Stelle wurden peinliche Fragen gestellt.
Simon fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis sein restliches SIFT -Team hinzugezogen würde. Konnte er beide leiten? Wohl eher nicht.
»Mein …«
Es klopfte. Die Tür ging auf. Paula Devenishs Augen funkelten wütend. Der diensthabende Polizist brachte ein Blatt Papier, gab es ihr und verschwand.
Chief Constable Devenish las. Schloss eine Sekunde lang die Augen. Sah auf.
»Das hier«, sagte sie, »ist eine Nachricht, die Hochzeit am nächsten Samstag betreffend. Die Tochter des Lord Lieutenant.« Sie hielt inne. »Der Prince of Wales und die Duchess of Cornwall werden teilnehmen.«
Allgemeines Luftholen. Jemand murmelte: »Das hat uns gerade noch gefehlt.«
»Genau«, sagte Paula Devenish.
»Aber ich dachte …«
»
Gedacht
haben wir alle, John. Man hat uns gesagt, der königliche Personenschutz habe die Empfehlung ausgesprochen, nicht zu kommen, und der Prince of Wales habe eingewilligt.«
»Dreckskerle.«
»Sag das nicht«, bemerkte ein anderer. »Der Prince of Wales hat noch nie gekniffen. Er weiß, dass jemand auf ihn schießen kann, sobald er das Haus verlässt.«
»Ich werde eine Sondereinheit des königlichen Personenschutzes beantragen«, sagte Chief Constable Devenish. »Ich sehe nicht ein, warum das allein unsere Sache sein soll.«
Sie stand auf. »Vielen Dank, Ihnen allen. Simon, kann ich kurz mit Ihnen sprechen …?«
Sie gingen den Flur entlang zu seinem Büro.
»Ehrlich gesagt, ich habe Angst. Das gebe ich nicht gern zu. Ich weiß, es ist ein privater Anlass, doch wir müssen die Sache angehen, als handelte es sich um einen Staatsbesuch.« Paula Devenish sah ihn an. »Sie haben mit diesem ganzen Fall mehr als genug zu tun, aber wem sag ich das. Probleme?«
»Es ist persönlich und betrifft die Familie, aber ja. Ich befürchte, dass ich über kurz oder lang meiner Schwester zur Verfügung stehen muss … Ihr Mann hat einen Hirntumor – er ist sehr krank.«
»Das tut mir leid, Simon. Das ist ganz furchtbar, mein Vater ist daran gestorben. Tatsache ist jedoch, dass es Ihr Schwager ist, nicht Ihre Frau oder Ihr Kind. Ich kann Sie nicht aussteigen lassen.«
Streng, dachte er. Streng wie immer. Im Polizeirevier hatte es stets
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