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Der Toten tiefes Schweigen

Der Toten tiefes Schweigen

Titel: Der Toten tiefes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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darauf war er eingeschlafen oder hatte es einfach vergessen. Als Hannah nicht zu ihm gehen wollte, um sich zu verabschieden, bevor sie zur Schule ging, oder um ihm einen Gutenachtkuss zu geben, war er verstört und aufgebracht.
    Cat ging in die Küche. Mephisto lag ausgestreckt auf dem alten Sofa in tiefem Schlaf und rührte sich nicht. Der Wind hatte aufgefrischt. Sie schenkte sich ein Glas Milch ein und setzte sich. Noch etwas anderes machte ihr Sorgen. Bis heute hatte sie bei Chris in ihrem gemeinsamen Bett geschlafen, doch sie störte ihn anscheinend, er schlief unruhig, wachte auf, und sie bekam nicht viel Schlaf. Die Kinder hatten so schon genug durchzumachen, da durfte sie nicht auch noch müde und reizbar sein. Aber wie sollte sie Chris sagen, dass sie aus ihrem Schlafzimmer auszog? Vielleicht könnte sie darauf hinweisen, dass sie »nur heute mal« gut durchschlafen müsse, und dann »nur noch eine Nacht«, bis es zur Gewohnheit wurde. Das Gästezimmer lag neben ihrem Schlafzimmer, und sie konnte beide Türen angelehnt lassen.
    Doch etwas Praktisches und sogar Notwendiges hatte eine Endgültigkeit an sich, der sie sich nicht zu stellen vermochte. Es ging nicht nur darum, dass sie Schlaf brauchte. Es ging darum, dass nichts jemals wieder normal sein würde, dass sie nie wieder ihr Bett teilen würden, das Ende von allem. Ich bin keine gute Ärztin, dachte sie jetzt, denn das hier ist etwas, das mir nie in den Sinn gekommen ist und worüber kein Patient jemals mit mir gesprochen hat. Vielleicht gibt es dazu nichts zu sagen, vielleicht ist es einfach unerträglich und nicht in Worte zu fassen, unmöglich, es jemandem zu sagen, überhaupt auszudrücken?
    Sie vernahm ein Geräusch. Sie trat unten an die Treppe und lauschte. Nichts. Dann wieder.
    Chris saß im Bett, hatte die Hand zur Nachttischlampe ausgestreckt, die am Boden lag. Als sie ihn so sah, den Kopf auf einer Seite geschoren, das Gesicht und der Körper abgemagert, die Augen vollkommen verwirrt, dachte Cat, das kann ich nicht. Ich weiß nicht, wie ich hier noch länger bleiben soll. Und sie schämte sich, war wütend über sich selbst, stellte die Lampe zurück, legte Chris wieder hin, wie sie es bei ihren Kindern tun würde, strich ihm über die Stirn und redete leise auf ihn ein. Er war nicht ganz wach oder bei Bewusstsein gewesen, das Morphium wirkte nach wie vor.
    Sie ging in das Kinderzimmer. Felix schlief wie immer auf dem Bauch, den Po in die Luft gestreckt. Sam war ordentlich eingerollt, das Alex-Rider-Buch aufgeschlagen unter dem Arm. Hannahs Bettdecke lag auf dem Boden. Cat legte sie zurück und steckte sie fest. Was immer auch in diesem Haus geschah, was immer sie tagsüber aufgebracht hatte, sie alle waren mit der Sicherheit des Schlafs gesegnet.
    Cats Körper war erschöpft, doch ihr Verstand war so hellwach, dass er Funken zu sprühen schien. Sie machte es sich neben Mephisto, der ein-, zweimal seine Krallen zeigte, auf dem Sofa bequem.
    Neben ihr auf dem Boden lag ein Stapel Bücher, auf die sie sich seit Tagen zu konzentrieren versuchte. Auch zu Zeiten, als sie in der Praxis sehr eingespannt war, hatte sie einen Roman nie unbeendet liegen gelassen oder derart lange für einen gebraucht wie jetzt. Sie sah die Bücher durch. Der neueste Ian Rankin. Ruth Rendell. Aber sie konnte nichts über die dunkle Seite lesen, über Gewalt und Not, ganz gleich, wer welche Verbrechen begangen hatte.
Die Türme von Barchester.
Martin Amis. Beide gefielen ihr, beide waren nicht das Richtige. Ganz unten lag der riesige Wälzer, den Chris ihr vor dem Rückflug aus Australien am Flughafen gekauft hatte, denn, so hatte er gesagt: »Sogar du kannst nicht behaupten, dass der zu kurz ist für den Flug.«
Jonathan Strange & Mr.Norrell.
Doch sie hatte ihn kaum angefangen, als Felix spucken musste und Hannah bei Luftturbulenzen Angst bekam, und dann waren die Tabletts mit den Mahlzeiten gekommen, man hatte geschlafen, noch mehr Übelkeit, bis sie den Roman beiseitegelegt und eine alte Dorothy L. Sayers gelesen hatte, die jemand im Zeitungsnetz ihres Sitzes stecken hatte lassen.
    »Vor einigen Jahren gab es in der Stadt York eine Gesellschaft von Magiern.«
    Sie hatte das Gefühl, in das Buch zu fallen wie in ein tiefes, weiches Bett.
    Sie kam wieder zu sich, als der Kater sich streckte, sanft auf den Boden sprang, durch die Katzenklappe verschwand und dabei einen kurzen, kalten Luftzug hineinließ. Es war fast drei, und im Haus knackte es hier und da, als der Wind

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