Der Toten tiefes Schweigen
Tom«, sagte Lizzie.
Nichts.
»Tom? Steh da nicht so rum, komm her.«
Nichts.
»Du liebe Güte, wenn du kindisch sein willst …« Lizzie erhob sich vom Bett und ging auf ihn zu. »Dann verpiss dich, bevor du sie aufregst. Du machst mich echt wütend, Tom.«
Doch als sie sich ihm näherte, drehte er sich um. Er ging über den Treppenabsatz, die Treppe wieder hinunter.
»Lizzie, nicht, lass ihn, ist schon gut, er wird sich damit abfinden.«
»Vollidiot!«, schrie Lizzie.
Doch der Lärm der zuknallenden Haustür übertönte ihre Stimme.
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Vierundsechzig
»Geh aus, mein Herz, verkünde die Herrlichkeit Seines Wortes!
Fest ist Sein Versprechen, Seine Gnade gewiss.
Geh aus, mein Herz, verkünde die Größe des Herrn
An deine Kindeskinder und bis in alle Ewigkeit!«
»Halleluja!«
»Halleluja!«
»Lobet den Herrn Jesus Christus!«
»Gelobet sei sein Name!«
Die Band spielte, zwei Gitarren, zwei Flöten, Keyboard und Schlagzeug. Tom machte nicht mit. Für gewöhnlich nahm er teil und spielte ein Instrument, doch an diesem Abend hielt er es nicht aus. Er stand hinten.
»Halleluja, Amen!«
Der Pastor hob beide Arme. Tom schloss die Augen, als sie wieder sangen, dabei mit den Armen wedelten und hin und her schwankten, Reihe für Reihe. Die Frau neben ihm stieß gegen ihn.
»Jesus, gütiger Herr«, stöhnte sie.
Er schlug die Augen auf. In der Reihe vor ihm stand eine Frau mit zwei kleinen Jungen, doch statt der Rücken der Jungen, einer mit einem blauen Fleeceshirt, der andere mit einem roten, sah er nur das Gesicht seiner Mutter, strahlend vor Glück, ihr Gesicht und Lizzies. Lizzie grinste ihn an.
Eine Stunde lang war er durch die Gegend gezogen, in Sackgassen hinein und wieder hinaus, über Straßen, in denen ein Haus neben dem anderen stand. Auto in der Einfahrt, Licht hinter den Fenstern. Auto in der Einfahrt. Licht hinter den Fenstern. Immer so weiter. Er war in der Nähe des Hügels herausgekommen und hatte gedacht, er könnte hinaufgehen, doch es war stockfinster, und er hatte keine Taschenlampe. Er war zurückgegangen, hatte eine andere Richtung eingeschlagen, wollte nicht nach Hause, war den halben Weg in die Stadt gegangen, hatte es sich anders überlegt und war wieder umgekehrt. Er wollte niemanden treffen, konnte nicht reden. Er wollte weinen. Er war seiner Mutter nicht böse, obwohl er sie nicht verstand, doch vielleicht war es der Schock nach dem Unfall, vielleicht wusste sie nicht, was sie tat. Vielleicht? Er war traurig und durcheinander. Phil Russell. Na schön, er, Tom würde also in die Staaten gehen, weg von zu Hause, und hätte nur wenig mit ihm zu tun, aber zu wissen, dass Phil Russell sein Stiefvater war, seine Mutter geheiratet hatte und ihren Verstand und ihr Herz mit atheistischem Gift anfüllte, die Bibel verspottete, seine Mutter mit klugem, intellektuellem Gerede gegen die Heilige Schrift aufbrachte, dass sie sich dumm vorkam, wahrscheinlich würde er sie auch noch davon abhalten, weiter im Kathedralenchor zu singen … Tief im Herzen wusste er, dass Gott ihn bat, der Sache ein Ende zu bereiten, und Jesus Christus verließ sich darauf, dass er Mum errettete, und Tom wollte es auch, doch allein schien es ihm unmöglich.
»Du bist nicht allein, Tom«, sagte eine Stimme in seinem Herzen. »Siehe, ich bin bei dir alle Tage bis ans Ende der Welt.«
Er lächelte. Die Fleeceshirts der beiden Jungen leuchteten.
»Für mich«, sagte die Stimme, »gibt es keine größere Freude als über ein Lamm, das verloren und wiedergefunden wurde …«
»Ja, Herr«, sagte er, »geheiligt sei dein Name. Ich weiß, es liegt an mir, ich weiß, worum du mich bittest. Nur …«
»Für Gott ist nichts zu schwer. Bitte, und dir wird gegeben. Klopfe an, und dir wird aufgetan!«
Die Frau neben ihm packte ihn am Arm, und der Raum war angefüllt mit dem Gebrabbel von Menschen, die in Zungen redeten. Sie redete in Zungen. Verdrehte die Augen. Tom versuchte, ihre Hand sanft von seinem Arm zu lösen, doch ihr Griff war zu fest.
»Amma jambagrisalamoralamma fornamo jamme jamme kanfalabedei.«
Tom machte den Mund auf und versuchte, sich zu vergegenwärtigen, was ihm der Pastor nach seiner Taufe beigebracht hatte.
Entspann dich, atme tief ein, langsam wieder aus und konzentriere deinen Geist auf Gott und unseren Herrn Jesus Christus, die dich unsäglich lieben. Danke ihnen, dass sie dir den Heiligen Geist eingegeben haben, atme noch einmal ein und lege los – sprich Worte des Lobes aus, des
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