Der Toten tiefes Schweigen
leuchtete rosarot im letzten Sonnenlicht.
Richard trat zu ihnen und beugte sich zu Chris hinunter, berührte seine Stirn, hob sanft sein Handgelenk und fühlte den Puls.
Cat drehte den Kopf zu ihm um. Er nickte.
»Ich helfe unten«, sagte er und ging.
Kurz darauf fragte Cat: »Würdest du die Kinder gern für einen Augenblick sehen?«
Doch Chris’ Arme zuckten, dann war er wieder ruhig, den Kopf abgewandt. Ganz sanft berührte Cat seinen Nacken und seinen Kopf.
»Armer Junge«, sagte sie, »armer Kopf.« Sie beugte sich vor und küsste ihn.
Die Sonne sank tiefer, die Wand wurde dunkel. Der Himmel verfärbte sich violett und grau.
In der Küche saßen Richard und Judith mit Sam und Hannah am Küchentisch, Tee, Saft und Toast vor sich.
»Was gibt’s denn nachher zum Abendbrot?«
»Hackfleischauflauf und Früchte mit Streuseln.«
»Kann ich nur die Streusel haben, ohne das Obst?«
»Ich esse Hannahs Obst, sie verabscheut Obst, dabei sollte man doch Obst essen, oder, dann kriegt man nichts. Krankheiten und so.«
»Manches Obst mag Hannah, oder, Hanny?«
»Bananen.«
»Siehst du? Das ist nicht genug, oder?«
»Bananen sind in Ordnung, Sam. Möchtest du noch Toast?«
Doch Sam stand auf und schob seinen Stuhl zurück. »Ich gehe zu Daddy.«
»Ich will ihn nicht im Bett sehen, ich will ihn nur sehen, wenn es ihm bessergeht«, sagte Hannah.
»Oh, du bist so blöd, blöd, blöd, er wird nie wieder gesund, begreifst du das denn nicht?«
Hannah ließ ihren Toast auf den Teller fallen und heulte los. Felix starrte sie über den Deckel seines Trinkbechers hinweg an. Sam huschte wie ein Schatten zur Tür hinaus und schnell die Treppe hinauf. Richard stand auf.
»Lass ihn«, sagte Judith. »Cat weiß, was zu tun ist.«
Richard runzelte die Stirn, setzte sich dann aber wieder und legte kurz darauf die Hand auf Hannahs Arm.
Oben lag Cat neben ihrem Mann, und Sam kam leise an die Tür, spürte jedoch, dass es jetzt anders war, dass in dem Schweigen und in der Stille etwas war, was er noch nicht kannte. Er blieb an der Tür stehen.
»Sam?« Sie hörte ihn atmen. »Sam, willst du herkommen? Du musst nicht.«
»Was ist los?«
»Daddy ist gerade gestorben. Vor wenigen Augenblicken. Er hat geschlafen, und dann noch tiefer geschlafen. Und dann hat er nicht mehr … er starb.«
»Jetzt?«
»Gerade eben.«
»Soll ich es ihnen sagen?«
»Ich glaube, das übernehme ich lieber.«
»Kann ich ihn ansehen?«
»Natürlich. Soll ich Licht machen?«
»Nein.« Sam bewegte sich nicht. »Noch nicht, bitte.«
»Gut. Vom Flur kommt etwas Licht herein.«
Langsam trat Sam ans Bett. Cat streckte die Hand aus, er nahm sie und drückte sie fest. Gleich darauf stieg er auf das Bett und reichte über sie hinweg, hielt mit der Hand kurz über Chris inne, um ihn dann zu berühren.
Cat drückte ihren Sohn fest an sich und legte ihre Hand über seine.
Ein paar Minuten später hielt Judith, die in der Küche gerade Teller und Tassen auf ein Tablett stellte, inne und sah Richard an. Er hielt ihrem Blick stand. Hannah war bei ihrem Hamster, um ihn zu füttern.
»Eine andere Art der Stille herrscht im Haus«, sagte Judith.
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Achtundsechzig
I ch begreife einfach nicht, woher die Leute Waffen kriegen. Und damit meine ich nicht das Sportschießen.«
Phil zuckte mit den Schultern. »Viele sind umgebaute Platzpatronenwaffen, manche kommen aus Osteuropa.«
»Aber das sind Gangster.«
»Du hast zu viele schlechte Filme gesehen.«
»Mal im Ernst … Ich verstehe nicht, wie Kinder an Waffen kommen.«
»Warum machst du dir darüber Sorgen?«
»Weil es besorgniserregend ist. Machst du dir denn keine Gedanken? Fragst du dich nicht, ob die Kinder, die du unterrichtest, an Waffen herankommen? Vielleicht haben sie bereits welche, vielleicht ist dieser Irre einer von ihnen.«
»Unwahrscheinlich.«
Sie hatten sich gerade im Fernsehen die Nachrichten angesehen, die Phil als »Nicht-Bericht« aus Lafferton über den frei herumlaufenden Scharfschützen bezeichnet hatte.
»Dieser Kerl hat nicht nur eine Waffe – wenn es überhaupt ein Kerl ist.«
»Oh, das könnte keine Frau sein.«
»Warum nicht?«
»Das geht einfach nicht … nein. Unmöglich.«
»Und falls es nur ein einzelner Mann ist und nicht zwei. Oder mehr.«
»Ich glaube, ich will mich darüber nicht unterhalten.«
»Möchtest du stattdessen lieber über Hochzeiten sprechen?«
»Ja. Nein. Ich glaube, ich bin zu müde.«
»Wir müssen nicht warten, bis du
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