Der Toten tiefes Schweigen
Deckenbrettern. Ließ das vordere Brett beiseite, um es hinterher schnell wieder einzusetzen. Lud.
Brachte sich in Stellung. Die Sichtlinie war perfekt. Einen Hirsch auf dreihundert Meter. Mindestens.
Er wartete. Erst jetzt begann sein Herz schneller zu schlagen. So sollte es sein. Aber er war gelassen. Seine Hand war ruhig.
Der weiße Wagen glitt an die Bordsteinkante vor dem Club, eingefangen in den wirbelnden Lichtern, mal blau, mal grün, mal rosa, mal golden. Die Türen öffneten sich, und sie strömten heraus, lachend, kreischend, winkend.
Claire Pescod.
Er hatte sie im Visier.
Ziele auf das Herz.
Doch im Bruchteil einer Sekunde stolperte das Mädchen mit dem albernen Cowboyhut und streckte die Arme vor.
Der Schuss prallte von dem Cowgirl ab, bevor er auch Claire traf, aber nicht ins Herz, nicht sauber.
Draußen erhob sich wildes Geschrei.
Chaos.
Aber nicht hier.
Hier langte er nach oben und verstaute die Waffe, rückte das Brett wieder an Ort und Stelle und ging dann mit sicheren, leichten Schritten über die gebrochenen Dachsparren und durch die Tür. Verbarrikadierte sie. Wandte sich zur eisernen Feuerleiter und zum Seil um und glitt rasch hinunter.
Hinter ihm nahmen die Schreie zu, bis sie wie das Kreischen von tausend Seemöwen klangen, das nachhallte.
[home]
Achtzehn
M ummy, lass uns auf den Töpfermarkt gehen, bitte, auf den Töpfermarkt.«
»Mummy, wir können doch hingehen, ja? Wir gehen doch immer auf den Töpfermarkt!«
»Und ich bin jetzt alt genug für die großen Karussells.«
»Sei nicht albern, das bist du nicht, man wird es dir nicht erlauben, du wirst wieder mit Felix auf dem Teetassenkarussell landen, ätsch.«
»Mumyyyyy …«
Mit ihren streitenden Kindern kam sie ganz gut zurecht. Mit Simon hingegen nicht. Simon lehnte am Schrank mit einem Becher Kaffee in der Hand.
»Okay, gehen wir’s an – wie Ma gesagt hätte. Sam, hör auf, deine Schwester zu ärgern. Hast du deine Hausaufgaben gemacht? Nein, antworte nicht, geh einfach und mach sie. Hat Dad sich nicht darum gekümmert?«
»Er ist mit seinem Jetlag ins Bett gegangen.«
»Gute Ausrede! Hannah, jammer nicht. Und jetzt GEHT . Bist du im Dienst, Si?«
»Ja und nein.«
»Was soll das denn wieder heißen? Ich jedenfalls werde ein Glas Vino trinken. Bleibst du zum Essen?«
Simon zuckte mit den Schultern.
»Um Himmels willen, drei von eurer Sorte
und
Chris mit seinem Jetlag schaffe ich nicht. Was ist passiert, Si? Oh, bevor ich es vergesse, hast du eine Adresse oder Telefonnummer von Jane Fitzroy?«
Simon horchte auf.
»Karin McCafferty ist im Hospiz. Sie würde sie gern sehen.«
»Schlimm?«
»Schlimm.«
Cat schlüpfte aus den Schuhen und lehnte sich auf dem Sofa zurück, das Glas in der Hand. Sie schloss die Augen und kam zu Hause an, schraubte sich herunter, sammelte langsam ihre Reserven, um mit dem Abendessen klarzukommen, damit, die Kinder ins Bett zu bringen.
Und mit ihrem Bruder.
»Dad hat eine Freundin«, sagte Simon.
Sie schlug die Augen auf. »Ah.«
»Ist das alles, was dir dazu einfällt, verdammt?«
»Äh … ich könnte ›gut‹ sagen, wenn dir das lieber ist.«
»Wie kannst du das nur sagen?«
»Gut. Da, schon wieder hab ich es gesagt. Setz ein anderes Gesicht auf. Gut. Gut. Gut. Wenn Dad jemanden gefunden hat, mit dem er zusammen sein will, gut so. Was spricht dagegen?«
»Hast du
Hamlet
gelesen?«
Cat seufzte und stand auf. Sie schenkte ein Glas Wein ein und reichte es ihrem Bruder. »Wenn dein Handy klingelt, achte nicht darauf. Die kommen zurecht. Und jetzt trink das und hör auf, dich so albern aufzuführen.«
»Ich wusste, dass du so reagieren würdest. Ich hab es, verdammt noch mal, gewusst.«
»Dad ist allein, ist einsam – obwohl er sich lieber die Zunge abbeißen würde, als das zuzugeben. Ma fehlt ihm, es ist gut ein Jahr her, dass sie gestorben ist …«
»Genau. Nur ein Jahr.«
»Zeit genug – wenn er der Ansicht ist. Im Übrigen, woher weißt du es?«
Er erzählte es ihr. »Ich konnte es nicht ertragen … Sie war in der Küche, am Herd, hat Sachen aus den Schränken geholt … Sie war an Mas Stelle. Ich konnte es nicht ertragen.«
»Finde dich damit ab. Hier geht es nicht um dich, es geht um Dad. Wer ist sie eigentlich?«
»Irgendeine Frau namens Judith Connolly.«
»Don Connollys Witwe?«
»Keine Ahnung.«
»Wenn, dann ist sie prima – mein Gott, das passt perfekt. Don Connolly war einer der Kardiologen am Kreiskrankenhaus Bevham und starb
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