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Der Toten tiefes Schweigen

Der Toten tiefes Schweigen

Titel: Der Toten tiefes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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die Stimmungsschwankungen erklären – Persönlichkeitsveränderungen.«
    »Ja«, sagte Cat.
    »Hat er über Kopfschmerzen geklagt?«
    »Ja, aber er hat nicht durchblicken lassen, dass sie ernst zu nehmen waren – ich habe es auf den Stress beim Packen und Reisen geschoben. Jetlag. Er war sehr müde – ich hätte es erkennen müssen. Ich hätte wissen müssen, dass es kein anhaltender Jetlag war.«
    »Kann man leicht übersehen. Er sagt, er habe sich in den letzten Tagen zweimal übergeben.«
    »Davon hat er mir nichts erzählt. Warum hat er nichts gesagt?« Sie sah ihren Vater an, konnte jedoch seine Miene nicht deuten, denn sie war ausdruckslos. So als nähme er das Gespräch gar nicht wahr.
    Chris’ Gehirn. Sie betrachtete den dunklen Bereich und versuchte einzuschätzen, wo der Tumor in Relation zu allem anderen lag, die Prognose einzuschätzen, sich so zu verhalten, als wäre sie Ärztin und hätte das MRT eines Patienten vor sich. Sich zu benehmen wie ihr Vater.
    »Sieht nicht gut aus«, sagte sie schließlich.
    »Nein. Dr.Ling wird es sich morgen gleich als Erstes ansehen und mit Ihnen über die Möglichkeiten sprechen.«
    »Kann ich Chris sehen?« Ich bin eine hilflose Verwandte, dachte sie. Alles hat sich verändert.
    »Selbstverständlich. Ich bringe Sie hin. Dr.Serrailler?«
    »Ich warte im Wagen. Wir müssen ihm nicht alle auf die Pelle rücken.«
     
    Chris lag auf einer Nebenstation. Das Licht war gedämpft. Drei weitere Betten, in einem lag eine hingestreckte Gestalt, in einem anderen eine gekrümmte. Beim dritten waren die Vorhänge zugezogen. Leise Stimmen. Infusionsständer. Cat überkam ein Anflug von Angst.
    Er lehnte an einem aufgerichteten Kissen. Krankenhaushemd.
    »Ich sehe mal nach, ob jemand einen Schlafanzug für ihn findet«, sagte die Assistenzärztin.
    Krankenhausschlafanzug.
    Aber er war Chris. Er sah nicht anders aus. Irgendwie hatte sie erwartet, dass er sich verändert hätte.
    Er sah sie an. Wandte den Blick ab.
    »Warum hast du mir nichts gesagt?« Sie hatte ihm keinen Vorwurf machen wollen. »Du musst gewusst haben, dass es nicht nur der Jetlag war.«
    »Ich habe immer Kopfschmerzen gehabt – schon als Jugendlicher. Ich dachte, es wäre das Übliche.«
    Sie legte ihre Hand auf seine.
    »Hast du das MRT gesehen?«
    »Ja. Die Diagnose ist was für Fachleute. Morgen früh wird die Neurologin mit dir sprechen.«
    »Wo sind die Kinder?«
    »Bei Judith.«
    »Wer ist Judith?«
    »Dads Freundin. Du hast ein Beruhigungsmittel bekommen, keine Bange.«
    Chris schwieg. Döste er? Dachte er nach?
    Sie wollte schon aufstehen, doch er drehte seine Hand rasch um und drückte ihre Hand herunter.
    Cat beugte sich über ihn und strich ihm über die Stirn. »Ich bin früh wieder hier.«
    »Wenn es ein Tumor vierten Grades ist, möchte ich, dass du mir eine Überdosis Morphium verabreichst. Versprich es mir.«
    »Versuche nicht, dich selbst zu diagnostizieren.«
    »
Versprich es mir,
Cat.«
    Sie schwieg. Sie konnte es nicht versprechen. Sie konnte nicht einmal daran denken, was es bedeuten würde, wenn er recht hatte. Aber er hatte nicht recht.
    »Ein Gliom. Alles oberhalb des zweiten Grades. Bitte.«
    »Versuch zu schlafen. Aber du weißt, es gibt viele andere Hirntumore. Stürze dich nicht gleich auf das Schlimmste. Denk heute Nacht nicht mehr daran.« Um Himmels willen, dachte sie, wie dumm. Wie ausgesprochen dumm.
Denk nicht mehr dran.
Schön wär’s.
    Sie beugte sich über ihn, um ihn zu küssen.
    Chris wandte das Gesicht ab.
     
    »Merkwürdig«, sagte Richard, als sie aus dem Parkplatz des Krankenhauses fuhren. »Die Symptome sind widersprüchlich. Der epileptische Anfall und die Schläfrigkeit weisen auf einen Tumor im Hirnstamm hin, während die Stimmungsschwankungen auf einen im vorderen Hirnlappen schließen lassen. Ein Gliom, würdest du sagen? Hat er Probleme mit den Augen gehabt? Ich jedenfalls habe keine Ataxie sehen können.«
    Cat hatte Mühe, zu antworten. Der Wagen schien durch die Luft zu schweben, sauste auf der Umgehungsstraße dahin. Ihr Vater war schon immer umsichtig, sicher und sehr schnell gefahren. In ihrem Kopf wirbelten eine Menge Bilder durcheinander, und nichts blieb stehen.
    »Was meinte Chris dazu?«
    Sie hatte antworten wollen, er sei sediert worden und nicht sehr mitteilsam gewesen. Stattdessen sagte sie: »Ich musste ihm versprechen, dass ich ihm eine Überdosis verabreiche, wenn es ein Tumor vierten Grades ist.«
    »Ah.

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