Der Toten tiefes Schweigen
Mausi.«
Es klingelte. Jamie begann auf und ab zu hüpfen, schwenkte in der einen Hand Mausi und hielt sich mit der anderen am Bett fest.
Sie würde nicht aufmachen. Wahrscheinlich war es jemand, der Spenden sammelte oder der etwas verkaufen wollte, oder es waren einfach Kinder. Kinder waren eine Plage, aber sie nahm es ihnen nicht übel. Sie langweilten sich.
Jamie stand noch immer, und nun schlug er an die Seite des Kinderbetts. Manchmal schlug er mit dem Kopf dagegen, dann wurde sie wach. Das war besorgniserregend. Warum schlug er den Kopf so fest an, dass es weh tun musste? Sie hatte es dem Arzt gegenüber erwähnt, als sie Jamie zum Impfen gebracht hatte, doch der hatte nur desinteressiert mit den Schultern gezuckt und gesagt: »Das machen sie schon mal. Eins meiner Kinder hat es auch gemacht.« Bum, bum, bum.
Dann wieder die verdammte Klingel.
Sie ließ die Schlafzimmertür offen, damit Jamie sie hören konnte. Wenn sie zumachte, würde er den Kopf anschlagen und noch stärker an den Gitterstäben rütteln.
Die Kette an der Tür war vorgelegt. Bethan war immer vorsichtig, machte nachts die Fenster fest zu, legte die Kette vor.
Sie drehte den Schlüssel im Sicherheitsschloss und öffnete die Tür so weit, bis die Kette sich spannte.
»Hallo?«
Schweigen.
Verdammte Blagen.
Sie löste die Kette nicht, sondern streckte nur den Kopf ein Stück weiter vor.
Beim Krach des Schusses musste sich Jamie plötzlich in sein Kinderbett setzen. Er starrte durch die Gitterstäbe an die Stelle, an der seine Mutter in der Diele gestanden hatte und nun lag, dann fing er an zu schreien.
Er schrie lange. Die Wohnungstür war zugezogen worden, und seine Mutter lag noch immer da. Jamie schlug gegen die Gitterstäbe. Niemand kam. Nach einer Weile setzte er sich und sah seine Füße an, dann krabbelte er durch das Bett, griff nach Mausi, legte sich hin und drückte sich das Plüschtier gegen das Gesicht. Er rief ein- oder zweimal, doch Mausi war da, weich und tröstend, und endlich schlief er ein. Das Licht in der Diele blieb an, und kurz darauf regnete es durch das offene Schlafzimmerfenster auf die Fensterbank. Der kleine Junge rührte sich, wurde wach und versuchte, unter die Decke zu schlüpfen, da übermannte ihn der Schlaf wieder.
Zweimal wachte er auf, und einmal stand er auf und schlug gegen das Kinderbett, zunächst mit den Fäusten, dann mit dem Kopf. Er schlug lange. Seine Mutter lag noch immer auf dem Boden und wollte nicht zu ihm kommen, und das Licht blieb an. Der Regen war stärker geworden und durchweichte den Vorhang.
Am Ende wich die Dunkelheit dem grauen Licht des Morgens, und der kleine Junge fiel quer ins Bett und schlief, Mausi unter sich. Er verschlief sechs Uhr, sieben Uhr und wurde erst nach acht wach. Doch nichts hatte sich verändert. Der Regen prasselte gegen die Fenster, und das Licht war noch an, und seine Mutter lag noch immer auf dem Boden in der Diele, und der Kleine begann nun leise zu weinen, da er erkannte, dass es zwecklos war, zu schreien und gegen das Kinderbett zu schlagen. Er hatte Hunger, die Hose voll und fror.
Aber noch immer passierte nichts. Nichts veränderte sich. Niemand kam, und seine Mutter stand nicht auf.
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Dreißig
J ane Fitzroy fuhr langsam die lange Auffahrt zwischen den Reihen aus schwankenden Pappeln hinauf, Pappeln, deren Blätter in weichen, goldenen Haufen auf dem Gras lagen. Die Klostergebäude waren noch nicht in Sicht. Nur die abgeernteten Felder zu beiden Seiten und die Bäume des Parks. Die Bäume waren zwar gewachsen, irgendwann gefällt und durch neue ersetzt worden, aber stets an derselben Stelle, so dass die Parklandschaft sich seit dem achtzehnten Jahrhundert, als sie angelegt worden war, nicht sehr verändert haben konnte. Das Haupthaus und etwa vierzig Hektar waren fünfzig Jahre später der Abtei vermacht worden und gehörten ihr bis ans Ende ihrer Tage. Was an sich schon Anlass zur Sorge gab, das hatte Jane innerhalb kürzester Zeit nach ihrer Ankunft hier festgestellt. Der Gemeinschaft hatten einst einhundertzwanzig Nonnen angehört. Selbst vor dreißig Jahren waren es noch mehr als siebzig gewesen. Inzwischen waren es zweiundzwanzig, und über die Hälfte war weit über achtzig. Hin und wieder kamen Postulantinnen hinzu, und ein paar legten ihre Gelübde ab und blieben. Doch in zehn Jahren wären nicht mehr genug Nonnen da, um die Instandhaltung des Hauses und des Grundstücks zu gewährleisten. Wahrscheinlich waren auch jetzt schon
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