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Der Toten tiefes Schweigen

Der Toten tiefes Schweigen

Titel: Der Toten tiefes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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schüttelte den Kopf. »Ich bin geflohen. Ich wusste nicht, was ich empfand. Ich war in einem sehr verwirrten und zerbrechlichen Zustand, und ich kam nicht damit zurecht, dass zu der Mischung noch ein weiterer Faktor hinzukam. Es hätte helfen sollen, doch es machte die Dinge noch schlimmer.«
    »Du hast viel mitgemacht. Entsetzliches.«
    »Ich musste mir über mich selbst klarwerden.«
    »Und, ist es dir gelungen?«
    »Nicht ganz. Aber ich glaube, ich arbeite mich langsam heran – wohin es mich auch führt. Ich dachte, es wäre das Kloster gewesen. Ich wollte wirklich, dass es funktioniert, wusste aber von Anfang an, dass es nicht so sein würde. Ich wusste es, sobald ich am ersten Abend dort in meinem Zimmer im Bett lag. Sechs Monate lang habe ich mich abgemüht, und ich bin froh darum.«
    »Abgehakt, sozusagen.«
    »Ja. Der nächste Schritt erfüllt mich mit viel größerer Zuversicht. Ich möchte mehr wissenschaftlich arbeiten.«
    »Du darfst dich nicht in einer Bibliothek vergraben, Jane, du kannst zu gut mit Menschen umgehen. Eine Bibliothek ist so schlimm wie ein Kloster.«
    »Aber eine Bibliothek in Verbindung mit Studenten und einem Krankenhaus kommt der Sache doch schon näher, findest du nicht? Ich habe mein Glück nicht verdient.«
    »Was das betrifft, wer von uns verdient schon, was er bekommt?« Cat schüttelte den Kopf, Tränen traten ihr in die Augen. Sie stand auf und schob die letzten Holzscheite zusammen, damit sie wieder aufflammten. »Australien ist so weit weg wie ein von der Sonne beschienener Tagtraum.«
    »Hat es dir gefallen?«
    »Nicht so richtig. Aber wir waren glücklich zusammen, und es war anders, was einen immer wachrüttelt. Rückblickend sieht es, ehrlich gesagt, idyllisch aus.«
    »Wie kommt Chris klar? Ich meine nicht körperlich.«
    »Ich weiß nicht. Wie eigenartig das klingt. Aber ich weiß es wirklich nicht. Im Augenblick ist er vollgestopft mit Medikamenten und hangelt sich von Tag zu Tag, schläft viel und wartet auf den Beginn der Bestrahlung. Alles andere ist für ihn weit weg. Und du kennst Chris … Er philosophiert nicht, er macht einfach weiter. Das Schlimmste ist, ich kann mit Patienten über das Sterben sprechen. Ich rede tatsächlich mit ihnen. Ich halte es für wichtig. Ich bringe sie dahin, zu sagen, was sie empfinden, ich veranlasse ihre Verwandten, dasselbe zu tun. Doch mit Chris kann ich es nicht. Wir sprechen darüber, was medizinisch passieren wird, aber sonst … Ich kann es nicht, und er tut es nicht. Wir hatten niemals etwas, worüber wir nicht sprechen konnten, auch wenn wir unterschiedlicher Meinung waren. Wir haben uns oft gestritten. Aber jetzt das. Es hat uns irgendwie erstarren lassen. Ich habe das Gefühl, als würde ich eine Rolle am Theater spielen. Das bin nicht ich, das ist nicht Chris, das sind nicht wir.«
    »Eigenartig. Karin hat so leidenschaftlich an alternative Medizin geglaubt, dass sie alles abgelehnt hat, was du und ich akzeptieren würden – und Chris wahrscheinlich auch.«
    »Chris auf jeden Fall. Er ist ein klassischer Schulmediziner. Er würde nichts anderes in Betracht ziehen. Das tun letzten Endes nicht viele Ärzte, weißt du?«
    »Was würdest du für Karins Tod verantwortlich machen? Dass sie sich orthodoxer Behandlung verweigert hat?«
    »Krebs mache ich für ihren Tod verantwortlich, Jane. Das wird bei Chris nicht anders sein. Doch je länger ich in der Medizin tätig bin, je mehr ich davon sehe, desto klarer wird mir, dass das, was wir über Krebs wissen, mit einer Zeile zu beschreiben ist, die lautet: ›Du kriegst ihn, oder du kriegst ihn nicht. Du überstehst ihn oder nicht.‹ Da ist noch etwas … Ich habe das Gefühl,
ich
sollte ihn haben, ich fühle mich schuldig. Doch im Grunde meines Herzens bin ich erleichtert, dass ich nicht betroffen bin. Dass es wieder jemand anders ist, auch wenn es mein Mann ist. Ich bin davongekommen. So, jetzt habe ich es ausgesprochen.«
    »Aber so geht es doch uns allen, oder? Die Kugel hat mich verfehlt. Puh. Nein, das ist gerade jetzt nicht die richtige Analogie.«
    »Wirst du dich mit Simon treffen, solange du hier bist?«
    »Ich weiß nicht. Wahrscheinlich nicht. Ich muss morgen wieder fahren, und du sagst, dass er mit seinen Ermittlungen zu tun hat.«
    »Bleib ein paar Tage bei uns. Den Kindern würde es gefallen, und ich werde nicht viel Zeit für Freunde haben, sobald Chris aus dem Krankenhaus kommt.«
    Jane schwieg eine Weile. Sie wollte bleiben, und sie hatte keinen Grund,

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