Der Toten tiefes Schweigen
schon nach Cambridge zurückzufahren. Vielleicht würde sie auch Simon sehen. Wollte sie das? Ja. Sollte sie?
»Das würde ich sehr gern. Aber ich glaube nicht, dass es eine gute Idee wäre.«
Jetzt war es an Cat, nichts zu sagen.
[home]
Zweiundvierzig
Z ufall. Eine gute Gelegenheit. Straßenarbeiten hatten ihn so lange aufgehalten, dass er eine Nebenstrecke ausprobierte, eine falsche Abzweigung von der Umgehungsstraße genommen hatte und in Dedmeads Road gelandet war.
Das eine Ende führte in die neue Ashdown-Siedlung, ein großes und noch wachsendes Gebiet mit privaten Wohnhäusern, verschachtelten Sackgassen, die von einer Hauptstraße abzweigten. Die fertiggestellten Häuser lagen am weitesten entfernt. Ab der Dedmeads Road war es noch Baustelle, halbfertige Häuser und Garagenblöcke, nicht asphaltierte Straßen, Baugerüste, Flächen mit Buschwerk, auf denen man später Rasen aussäen würde. Viele der fertiggestellten Häuser waren noch nicht verkauft. Vor zwei Musterhäusern wehten Fahnen von Bauunternehmern.
Am nördlichen Ende, von dem er gekommen war, führte eine Straße mit identischen Sechziger-Jahre-Häusern auf die Umgehungsstraße und stadtauswärts.
Er hielt an. Stieg aus und sah sich um. Er hatte den sehr schmutzigen, silbergrauen Focus genommen. Die sah man an jeder Straßenecke.
Es war zehn nach neun. Schulzeit. Arbeitszeit. Dedmeads Road war leer bis auf ein paar Mütter mit Kleinkindern und Buggys, die vor den Geschäften zusammenstanden und tratschten.
Er stieg wieder in den Wagen und fuhr weiter. Parkte neben dem Einkaufszentrum, aber nicht so nah, dass jemand auf den Wagen oder das Nummernschild aufmerksam wurde.
Die Mütter rückten enger zusammen, als er an ihnen vorbei in den Post- und Zeitungsladen ging, eine Zeitung und ein Päckchen Kaugummi kaufte.
»Guten Morgen. Danke.«
»Am Wochenende wird’s wieder regnen.«
»Scheiße.«
»Achtzig Pence. Danke.«
»Wiedersehen.«
Er ging hinaus, las die Titelseite des Boulevardblatts. Der Ladenbesitzer hatte ihn schon vergessen, bevor er an der Tür war.
Zeitungsladen. Chinesischer Imbiss, geschlossen. Waschsalon, zwei Leute drinnen, die mit den Maschinen beschäftigt waren und ihn nicht bemerkten, als er einen Blick durch die Fenster warf. Lebensmittelladen, der abends noch aufhatte.
Louise,
Damenfriseur. Er ging daran vorbei und warf einen Blick in die Zeitung; der Laden hatte eine Jalousie herabgelassen, die Schlitze standen offen. Niemand sah ihn. Ein leerstehendes Geschäft. Leere Kartenständer waren in die Mitte geschoben. Schmutzige Fenster. Werbepost stapelte sich auf dem Boden unter dem Briefkasten.
Das war alles. Er ging weiter, vorbei an einem Block Doppelhäuser. Dann die niedrige Ziegelmauer. Ein Parkplatz mit Kies. Ein bisschen Gras. Drei oder vier Bäume. Blaues Schild. Goldene Buchstaben.
Our Lady of Sorrows Catholic Church
Messe: täglich 8 . 00 Uhr; sonntags und an Feiertagen 8 . 00 Uhr, 9 . 00 Uhr, 10 . 30 Uhr, 16 . 00 Uhr
Beichte: samstags und donnerstags 6 . 00 bis 7 . 30 Uhr
Priester: Pater G. Nolan, Pfarrhaus, Dedmeads Road 40
Kahles Backsteingebäude im Stil der Sechziger. Hellblau, gelb und grün gefärbtes Glas zu beiden Seiten der hellen Eichentüren. Drei niedrige Stufen davor. Breite Einfahrt. Niedrige Eisentore, offen und hinten an der Wand festgehakt.
Auf der anderen Straßenseite Doppelhäuser und ein einzelnes, frei stehendes Haus ziemlich weit unten am Fuß einer steilen Einfahrt. Vor dem Einzelhaus ein Schild.
Dedmeads Tierarztpraxis.
Drei oder vier Autos.
Sprechstunden: montags bis freitags 9 bis 11 Uhr und 15 bis 17 Uhr; samstags 9 bis 11 Uhr.
Perfekt.
Alles war perfekt. Zufall. Eine gute Gelegenheit. Er musste sie ergreifen. Die Dinge entwickelten sich aus einem bestimmten Grund so, das wusste er.
Er stieg wieder in den schmutzigen, silbergrauen Ford Focus und fuhr ungesehen fort.
Um sechs Uhr an dem Abend stellte er den Focus in die Garage, die er in der Canal Street gemietet hatte, und nahm den Lieferwagen, mit dem er zum Flugplatz fuhr. Dichter Regen fiel. Es herrschte nicht viel Verkehr, und er wusste, dass er nicht verfolgt wurde, denn niemand hatte auch nur den geringsten Grund, ihm zu folgen. Niemand. Er schaltete das Autoradio ein und hörte im Lokalsender die Meldung über die Leiche eines weiblichen Teenagers, die man in einem Graben gefunden hatte. Das Mädchen war seit über einer Woche vermisst worden. Warum hatte es so lange gedauert, die
Weitere Kostenlose Bücher