Der Toten tiefes Schweigen
Licht einschaltete und Wasser in den Kocher goss.
»Arme Jane.«
»Ich wollte bei ihr sein. Sie wollte, dass ich bei ihr bin.«
»Ich weiß.« Lois spendete keinen falschen Trost. Sie war Realistin.
Sie stellte einen Becher Tee und einen Teller Gebäck hin. »Tunken Sie einen«, sagte sie, »ich weiß, Sie haben gesagt, Sie hätten keinen Hunger, aber ein getunkter Keks geht immer.«
Es stimmte. Jane folgte ihr hinaus in die Eingangshalle. Am anderen Ende des Korridors vernahm sie gedämpfte Stimmen, sah ein Licht. Eine Tür ging zu.
»Wissen Sie über Dr.Deerborn Bescheid?«, fragte Lois.
»Ja, Cat hat es mir gesagt. Ich hatte gehofft, sie zu sehen, doch ich kann zu dieser Nachtzeit schlecht zum Bauernhaus fahren.«
»Ich glaube, gerade Sie können das. Warum rufen Sie nicht einfach an?«
Jane zögerte.
»Vielleicht ist sie froh darüber, verstehen Sie?«
»Hat sie das mit Karin schon gehört?«
»Es ist nicht an mir, sie anzurufen.«
Jane fragte sich, was sie Cat sagen könnte, aus heiterem Himmel, nachts um halb elf. Schaute Lois an. Lois nickte.
»Hören Sie, gehen Sie in den Raum für Angehörige, ich stelle das Telefon durch.«
Beim zweiten Läuten wurde abgehoben.
»Jane hier«, sagte sie. »Ich bin in Imogen House.«
Zehn Minuten später saß sie neben Karin McCafferty. Die Schwestern hatten ihre Leiche noch nicht geholt, obwohl die Spritzenpumpe und der Infusionsständer entfernt worden waren. Das Licht brannte. Sie hatten die Tür geschlossen.
Karin sah aus wie ein Falter unter den Bettlaken, die zarte Haut beinahe durchsichtig über den Knochen, das Haar gebürstet und zurückgebunden, lehnte sie an den leicht erhöhten Kissen. Jane ergriff ihre kalte Hand und legte sie sich an die Wange.
»Ich weiß, du würdest mir keinen Vorwurf machen, aber ich hätte hier sein sollen. Ich wünschte, es wäre so gewesen. Verzeih.« Karins Augenlider waren leicht blau, wie die eines Neugeborenen. Sie war schön im Tod, so wie im Leben, aber distanziert. Manchmal war Jane bei Sterbenden oder gerade Verstorbenen gewesen und hatte ihre Präsenz sehr stark gespürt. Hier nicht. Karin war so weit fort wie möglich und hatte keine Spuren hinterlassen.
Eine halbe Stunde später saß Jane bei Cat neben einem kleinen Feuer im Wohnzimmer des Bauernhauses, einen Whisky in der Hand. Der Regen platschte gegen die Fenster.
Cat lehnte sich zurück, die Augen geschlossen, das Gesicht war von Erschöpfung geprägt.
»Eine Patientin, die ihre Mutter zu Hause pflegte, hat mal zu mir gesagt: ›Ich bin weit über Ermüdung hinaus.‹ Und es wird schlimmer werden. Es ist, als legte man sich hin, während jemand auf einen einschlägt, doch irgendwie schmerzt jeder Schlag anders.«
»Wie geht es den Kindern?«
Cat schüttelte den Kopf. »Judith Connolly ist der rettende Engel. Mein Vater trifft sich regelmäßig mit ihr, und sie ist erstaunlich – ruhig, stark, unkompliziert, schätzt ihn richtig ein und geht phantastisch mit allen drei Kindern um. Sie ist schnell zu meinem Fels in der Brandung geworden, wenn Simon nicht da ist.«
Jane trank einen Schluck Whisky. »Er ist nicht da? Aber ich habe ihn in den Nachrichten im Fernsehen gesehen.«
»Ja. Das ist ein Grund für seine Abwesenheit und offenbar der wichtigste – es ist hart für ihn. Doch was mich wahnsinnig macht, ist seine alberne Einstellung Judith gegenüber. Si war immer Mums Liebling, aber Mum ist tot, und er kann es nicht ertragen, dass jemand anders in Hallam House ist.«
»Sieht er denn nicht, dass es eurem Vater guttut?«
Cat schnaubte. »Er kann sich nicht dazu durchringen, es zu sehen. Nur gut, dass er tief in seiner Arbeit steckt und ich mir um Chris Sorgen machen muss, sonst würde ich wirklich auf ihn eindreschen.«
Jane sagte nichts. Sie war nicht sicher gewesen, was sie empfinden würde, wenn sie hierher zurückkehrte und von ihm hörte. Alles sollte von Karins Tod und Chris’ Krankheit überschattet sein. Trotzdem war ihr Simon sehr bewusst. Für sie war er eng mit diesem Haus und mit seiner Schwester verbunden. Janes Erinnerungen waren lebhafter, als sie es erwartet hätte.
»Ich habe nie erfahren, was genau zwischen euch beiden passiert ist«, sagte Cat jetzt. »Und ich überlasse es dir, ob du es erzählen willst oder nicht.«
Jane stellte ihr Whiskyglas ab. »Ich bin weggelaufen«, sagte sie. »Das ist passiert.«
»Bist du sicher? Sonst ist es nämlich anders herum. Simon ist derjenige, der fortläuft.«
Jane
Weitere Kostenlose Bücher