Der Toten tiefes Schweigen
Wangen. Sie streckte die Hand aus, um die fließende Seide und den Tüll und die Gänsedaunen zu berühren, als Chelsea vorüberglitt.
Schwebte.
Andrews Krawatte sah merkwürdig aus. Die Nadel saß schief. Am liebsten hätte sie die Hand ausgestreckt und sie gerade gerückt, und ihre Hand zitterte, das Schleierkraut am Rand ihres Brautstraußes bebte. Andrew lächelte.
Pater Brenner strahlte. Hinter ihr polterte und krachte es, als alle Platz nahmen, aber sie schwebte. Schwebte noch immer. Hinter ihr flüsterte die kleine Amy und fragte, was sie nun tun müsse. Lindsay wisperte zurück. Andrew berührte seine Krawatte mit der Hand.
Sie schwebte weiter.
Der Pater vermittelte ihnen das Gefühl, als seien sie die einzigen Menschen auf der Welt und mit Sicherheit die einzigen, die je geheiratet hätten. Er sah ihnen in die Augen, und er lächelte, und als er seine wenigen Worte sprach, brachte er alle zum Lachen. Warmherzig, dachte Chelsea, es war ein warmherziger Gottesdienst, als werde man von Glück und Lachen umarmt, und dann, als er sie zu Mann und Frau erklärte, drehten sie sich um, eingefangen von dem Applaus, der in der kleinen, hellen Kirche widerhallte.
Während sie sich an Andrews Hand festhielt, um durch den Mittelgang zu schreiten, war sie überrascht, wie schnell es zu Ende war. Die Monate und Wochen der Vorbereitung, die Planung, die der Gottesdienst beansprucht hatte, die Vermählungsanzeigen mit den silbernen Schwänen auf der Vorderseite, die Probedurchläufe – und es war vorbei, zack, und sie waren verheiratet. Die Türen wurden geöffnet, und davor sah sie helles Sonnenlicht, das auf die weiße Hochzeitslimousine schien. Sie gingen auf die Helligkeit zu, und es war, als schritten sie auf ihre strahlende Zukunft zu. Alles war richtig.
Hinter ihr rutschte Amy mit ihren neuen Schuhen auf dem glatten Boden aus und wäre beinahe gefallen, aber irgendwie zog jemand sie in die Höhe, richtete sie auf und redete beruhigend auf sie ein, damit sie kein Theater machte. Die kleine Amy hatte eine Stoffpuppe im Arm, die genauso gekleidet war wie sie.
Passanten schauten über die Mauer. Man durfte kein Konfetti werfen, doch Andrews Schwestern überraschten sie mit Seifenblasen, rosa Blasen aus kleinen Drahtschlingen, und die rosa Seifenblasen schwebten hoch in die Luft und platzten weich, leise auf Chelseas Haaren und auf ihrem Kleid und blieben auf dem Kies liegen, schillernd, eingefangen von der Sonne. Dann kamen alle heraus und drängten sich um das Brautpaar, lachten und küssten und knipsten mit kleinen Kameras. Federn hüpften auf Köpfen, und ein paar Männer traten ein Stück zur Seite und zündeten sich Zigaretten an. Hinter sich vernahm Chelsea die letzten Takte der Orgelmusik, und die Kirche wurde still.
Was dann geschah, ging so schnell, als wäre es im Zeitraffer, und danach konnte sich niemand mehr richtig daran erinnern, jeder schilderte es anders.
Chelsea stand neben Andrew, aber er war vorgetreten, und die kleine Amy drängte sich hinaus, um vorn zu stehen, damit sie gesehen, bewundert und fotografiert würde, und jemand hatte ihr eine Seifenblasendose in die Hand gedrückt, und sie gab sich große Mühe, zu pusten, doch die Blasen wollten nicht gelingen, die Flüssigkeit spritzte einfach nur auf ihr Kleid und den Kies. Rufe ertönten – »Andy, dreh dich um, näher an Chelsea heran … Andy, schau hierher … Chelsea, hier drüben« –, und dann ein Dröhnen, ein Motorrad raste vorbei. Der Fahrer … wer hat den Fahrer gesehen? Ja. Schwarze Lederkleidung, Helm … Er kam ins Schleudern und schien im Begriff anzuhalten, aber schon beschleunigte er wieder, und dazwischen, das kurze Aufblitzen, Sonnenlicht auf Metall, der laute Knall und das Aufflackern und die Flamme, und Andrew wirbelte herum, griff sich mit der Hand an die Schulter. Und Amy fiel langsam langsam langsam zu Boden, und ihr Gesicht und das Kleid waren mit Blut getränkt, und das Blut spritzte auf den Kies und hoch auf Chelseas Hochzeitskleid.
Menschen schrien durcheinander, und inmitten des Geschreis dröhnte das Motorrad mit durchdrehenden Reifen davon und wirbelte Staub auf.
Jemand rannte. Zwei der Männer, die an der Mauer gestanden und geraucht hatten. Sie liefen mit wehenden Jacketts die Straße hinunter, auf der das Motorrad verschwunden war.
Rannten.
Chelseas Kleid war so sehr mit Amys Blut bedeckt, dass alle dachten, sie sei getroffen worden. Jemand schrie: »Die Braut wurde erschossen … die Braut
Weitere Kostenlose Bücher