Der Toten tiefes Schweigen
Protestantin, fest verankert in ihrem Glauben an die Bibel, und strahlte vor Rechtschaffenheit, während sie die Hand ihrer Tochter hielt.
Es ist schwieriger als das hier, hätte Jane am liebsten gesagt, so einfach ist es nie, wir können nie eine einfache Antwort einfordern. Doch so etwas konnte sie nicht sagen. Sie legte die Hand leicht auf Nancys Kopf und erteilte ihr den Segen.
»Ich komme morgen früh wieder«, sagte sie, »und sehe nach, wie es ihr dann geht. Die ersten Tage sind entscheidend, wissen Sie?«
»Sie wird sich wieder vollständig erholen. Darauf können wir vertrauen.«
Jane lächelte und schlüpfte hinaus.
Auf dem Rückweg zum College machte sie sich Vorwürfe, dass sie zu negativ geklungen oder womöglich den festen Glauben der Mutter verleugnet hatte. Was machte sie als Pfarrerin in der anglikanischen Kirche, wenn sie nicht hinnehmen konnte, dass Wunder geschahen und Gebete erhört wurden? Sie glaubte an die Macht von Gebeten. Wunder hingegen – was waren sie? Raritäten, das war gewiss. Eine medizinische Diagnose, die sich am Ende als zu pessimistisch herausstellte, und ein Ergebnis, das besser war, als alle zu hoffen oder zu erwarten gewagt hatten – das war erklärbar und etwas, worüber man froh und wofür man dankbar sein sollte, aber kein Wunder. Das Krankenhaus erlebte ständig, dass etwas gut oder schlecht ausging – beides hatte sie selbst im Laufe des Tages gesehen. Dennoch hatte sie anscheinend den Glauben einer Frau zurückgewiesen, und sie hatte ein schlechtes Gewissen.
Sie stellte den Wagen ab und ging nachdenklich über den Collegehof. Es war still. Die Luft roch herbstlich, obwohl es ziemlich warm war und vereinzelt kleine Mückenwolken umherschwirrten. Sie wusste, dass sie sich glücklich schätzen konnte, das Privileg zu haben, eine Zimmerflucht im College zu bewohnen, eine Teilzeitbeschäftigung als Seelsorgerin sowohl hier als auch im Krankenhaus zu haben, und eine Promotion, an der sie wissenschaftlich arbeiten konnte. Sie hatte zu viele Fehler gemacht, die falschen Entscheidungen getroffen, sie glaubte nicht, dass sie für ihre früheren Tätigkeiten geschaffen war. Jetzt hatte sie Zeit und Raum. Sie hoffte, gut genug abzuschneiden – so gut, dass sie das Vertrauen rechtfertigte, das man in sie setzte, »und trotzdem«, dachte sie. Jane fragte sich, warum die Zuversicht, die zu Anfang so stark gewesen war, als sie sich entschloss, Pfarrerin zu werden, derart nachgelassen hatte.
An ihrer Zimmertür hing eine Notiz.
»Liebe Jane, hättest Du Lust, morgen um halb fünf mit mir Tee zu trinken? Ich hoffe, alles ist in Ordnung, und Du lebst Dich gut ein. Alles Gute, Peter.«
Die höfliche Wortwahl des Geistlichen und die Angabe »Tee um halb fünf« brachten sie zum Lächeln. Manches veränderte sich nicht.
Einige kamen zum Abendessen zusammen, und sie blieb bis kurz vor zehn im Gemeinschaftsraum und unterhielt sich. Sie kannte kaum jemanden, doch in einem College kam man leicht ins Gespräch, und sie war besser gestimmt, als sie wieder in ihre Zimmer ging, um noch eine Stunde zu arbeiten und außerdem Cat Deerborn anzurufen. Davor jedoch schaltete sie den Fernseher für die Nachrichten ein. Auf dem Bildschirm erschien Simon Serraillers Gesicht. Jane blieb stehen und starrte ihn an, verblüfft von der eigenartigen Mischung aus seiner Nähe, hier, wo er zu ihr sprach, und seiner vollkommenen Ferne.
Er wirkte ruhig und beherrscht, doch sein Gesicht war grimmig, als er Fragen nach den Schießereien in Lafferton beantwortete. Es war offenkundig, dass Simon hoch konzentriert war, und schwer, kein Verständnis für die Empörung der Öffentlichkeit zu haben, darüber, dass ein Schütze eine Tötungsorgie veranstaltete, während die Polizei nichts zu unternehmen schien, um ihm Einhalt zu gebieten. Doch im nächsten Moment sah Jane Simon nicht dort im Rampenlicht bei einer Pressekonferenz, sondern vor dem Bungalow, in dem ein Mann sie festgehalten hatte, der verrückt vor Kummer gewesen war, Simon, wie er mit ihm redete und versuchte, ihn zu beruhigen, dann später, als sie schließlich befreit worden war, wie er auf sie wartete und sie besänftigte. Sie dachte an den Abend, den sie gemeinsam verbracht hatten. Sie hatte ein provisorisches Abendessen zubereitet und seine Gesellschaft genossen, hatte ihn aber in letzter Minute abgewiesen, sich verunsichert und verstört zurückgezogen, noch immer unter Schock nach allem, was ihr zugestoßen war. Sie war nicht
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