Der Totenerwecker (German Edition)
bevor sie zum Aufzug ging.
Auf dem Weg zum Fahrstuhl trat ein Mann aus dem Zimmer, an dem sie gerade vorbeiging. Sarah sprang zurück. Hektisch fummelte sie an ihrer Handtasche und versuchte, den Verschluss zu öffnen und die Pistole herauszuholen. Als ihr klar wurde, dass es sich lediglich um einen harmlosen Hotelgast auf dem Weg zum Casino handelte, der keine Bedrohung darstellte, wurde ihr auch klar, dass sie bei Dale oder einem anderen Vergewaltiger keine Chance gehabt hätte. Die Waffe wäre nicht rechtzeitig schussbereit gewesen. Bei dem Gedanken fühlte sie sich gleich deutlich unsicherer, und die Fahrt mit dem Aufzug nach unten verlief wesentlich angespannter und unerfreulicher als erwartet. Sarah behielt während der ganzen Zeit die Hand in der Tasche, den Finger auf den Abzugsbügel der Waffe gelegt. Als der Mann sie anlächelte, hätte sie fast abgedrückt.
Das Hollywood Galaxy Casino war eines der neuesten Casinohotels auf dem Las Vegas Strip. Bilder und Erinnerungsstücke berühmter Hollywood- und Plattenstars hingen an den Wänden oder wurden in strategisch über das Gebäude verteilten Glaskästen ausgestellt. Statuen trugen Kleidung, die fast so berühmt war wie die Stars, von denen sie stammte: Clark Gables Kleidung aus Vom Winde verweht, Jim Carreys Anzug aus Die Maske, Wesley Snipes’ Blade- Kostüm, die alte Batman-Montur, Bühnengarderobe von Madonna, Cher, Michael Jackson, Prince, LL Cool J, Run DMC, Metallica, Nirvana, KISS, den Doors und zahllosen anderen.
Sarah war seit Monaten nicht mehr hier gewesen, und jetzt spazierte sie umher wie eine Touristin und bestaunte Fotos alter Motown-Stars und hochtoupierter 80er-Jahre-Metalbands. Das Casino war nicht so voll wie bei ihrem letzten Besuch. Es hielten sich fast so viele Einheimische wie Touristen darin auf, ein schlechtes Zeichen für ein Casino auf dem Las Vegas Boulevard, dessen Haupteinnahmequelle der stetige Strom auswärtiger Gäste war. Sie kamen her, um Dampf abzulassen, sich zu betrinken, zu spielen und die zahlreichen Striplokale an der Industrial Avenue, nur einen Block vom Boulevard entfernt, zu besuchen – und die noch zahlreicheren Callgirls und Prostituierten, die sich nach Mitternacht an den Hotelbars tummelten. Sarah fragte sich, wie wohl das Prostitutionsgewerbe mit der Rezession zurechtkam. Boten sie ihre Dienste ebenfalls zu Ramschpreisen an, so wie alle anderen Einzelhandelsunternehmen auch? Bekam man bei ihnen mittlerweile zwei Hand- oder Blowjobs zum Preis von einem? 50 Prozent Rabatt auf Analverkehr, Natursekt gratis dazu?
Sarah kicherte in sich hinein, als sie sich den Weg durch die Räume bahnte. Die Idee eines Pussy-Rabatts gefiel ihr. Und warum sollte sich jemand die Mühe machen, sie zu vergewaltigen, wenn er jederzeit eine Professionelle finden konnte, die zu einem verhandelbaren Preis alles mit ihm anstellte, was er sich wünschte?
Sie schielte zur Bar hinüber, an der sich bereits einige Callgirls in ihren hautengen und bis zum Nabel ausgeschnittenen Partykleidern versammelt hatten. Ein paar Kongressteilnehmer mittleren Alters standen bei ihnen. Die Mädchen warfen ihr verärgerte Blicke zu, als sie vorüberging, was sie noch mehr amüsierte. Es mochten noch so viele Unternehmen Pleite machen, aber das älteste Gewerbe der Welt gehörte mit Sicherheit nicht dazu. Die Geschäfte liefen langsam, aber stetig, zumindest in diesem Casino.
Man sah Blackjack-Croupiers an leeren Tischen und lange Reihen unbesetzter Glücksspielautomaten. Leere Craps-, Poker- und Roulettetische ließen die Räumlichkeiten beinahe verwaist erscheinen, obwohl sich immer noch einige Hundert Spieler im Saal tummelten. Aber es waren deutlich weniger, als man erwartet hätte.
Sarah brauchte nicht lange, um Josh zu entdecken. Er stand einsam an einem der leeren Tische. Am Nebentisch saß eine verdorrte und verschrumpelte Asiatin, die aussah, als hätte sie ein gutes Jahrhundert auf dem Buckel. Die Frau spielte allein gegen die Geberin, eine große Blondine Anfang bis Mitte 40, die früher eine atemberaubende Schönheit gewesen sein musste. Sie wirkte wie ein alterndes Showgirl. Sarah entschied sich für ihren Tisch.
Als sie an Josh vorbeiging, drehte er sich zu ihr um und lächelte sie breit an, sichtlich erfreut, sie zu sehen. Sein Lächeln verbreiterte sich noch, als er bemerkte, dass sie sein T-Shirt trug. Sarah erwiderte das Lächeln höflich, dann nahm sie am Nebentisch neben der alten Asiatin Platz.
»Hallo. Darf ich mich zu Ihnen
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