Der Totenerwecker (German Edition)
zusammen und ließ sich aufs Sofa fallen. »Hör mal, es tut mir leid. Ich weiß nur nicht, was ich davon halten soll! Das Ganze ist total verwirrend und beängstigend – so oder so. Ich meine, wenn dieser Typ uns beide betäubt hat und dann eingebrochen ist, um dich zu vergewaltigen – das ist ein extrem erschreckender Gedanke. Und wenn du, na ja, überschnappst, dann ist das fast noch schlimmer. Du ... du bist mein Fels in der Brandung. Eigentlich solltest du mich davor bewahren, überzuschnappen.«
Joshs Stimme klang belegt. Als er aufblickte, standen Tränen in seinen Augen. Es brach Sarah das Herz. Sie fühlte sich, als hätte sie ihn im Stich gelassen und auf irgendeine Weise verraten.
Sarah hatte bislang keinen Gedanken daran verschwendet, wie Josh mit alledem fertigwurde. Sie wusste, dass Josh nicht für Stress oder Überraschungen geschaffen war. Er war ein Mensch, bei dem alles seinen normalen Gang gehen und in geordneten Bahnen verlaufen musste, und das hier war so weit davon entfernt wie nur eben möglich. Es war das absolute Gegenteil von normal.
Eine schwere und unbehagliche Stille breitete sich zwischen ihnen aus. Sarah ließ sich neben Josh aufs Sofa plumpsen. Sie neigte sich zur Seite und legte den Kopf in seinen Schoß.
»Ich bin nicht verrückt, Josh. Aber ich kann nicht erwarten, dass du mir das abnimmst. Ich meine ... Verrückte wissen nicht, dass sie verrückt sind, oder? Wenn ich schlafwandle oder so was, dann dürfte ich es eigentlich nicht wissen. Lass uns für ein paar Tage von hier verschwinden. Möglicherweise sehen wir dann etwas klarer. Wir können beide eine kleine Auszeit gebrauchen.«
Wieder einmal, mitten in ihrem eigenen Trauma, war sie es, die sich um Josh kümmerte. Es störte sie nicht. Es fühlte sich normal an. Viel zu sehr hatte sie sich in letzter Zeit auf Josh gestützt, und das gefiel ihr nicht.
»Lass uns ein paar Sachen packen und abhauen. Tun wir so, als wären es Flitterwochen.«
Josh nickte und stand langsam auf. Noch immer wirkte er erschüttert, verängstigt und unsicher. Sarah fasste seinen Kopf mit beiden Händen und zwang ihn, sie anzusehen.
»Ich bin nicht verrückt, Josh. Mach dir keine Sorgen. Ich bin nicht verrückt.«
Josh lächelte schwach und nahm sie in den Arm. Sie konnte spüren, dass er trotzdem nicht sicher war. Sie war es ja selbst nicht. Das musste sie ändern.
Kapitel 15
Sobald sie sich im Hotelzimmer eingerichtet hatte, schaltete Sarah als Erstes ihren Laptop ein und ging ins Internet. Sie rief die Spy-Shop-Homepage auf und durchforstete die angebotene Überwachungselektronik. Das meiste war unerschwinglich teuer. Schließlich entschied sie sich für den Nanny-Cam-Teddybären. Beide Überfälle hatten sich im Schlafzimmer ereignet; wenn sie das auf Video aufnahm, konnte sie Josh und sich selbst beweisen, dass sie nicht verrückt war. Dann würde dieser Dreckskerl hinter Gitter wandern und ihr eigenes Leben normal weitergehen – nach mehreren Jahren Therapie.
Sarah notierte sich die Artikelnummer und die Adresse des Ladens. Dann öffnete sie das Verzeichnis mit ihren Dokumenten und begann, an der Dissertation zu arbeiten. Sie verspürte kein Verlangen danach, Pornoseiten abzusurfen. Gewalttätige und abartige Geschlechtsakte hatte sie schon zur Genüge gesehen, um ihre Theorie zu untermauern, dass die menschliche Sexualität als Ganzes mit zunehmender Überbevölkerung immer nihilistischer wurde. Sie brauchte dafür keine weiteren Bilder von Frauen, die brutal faustgefickt oder massenhaft vergewaltigt wurden. Ihr Sexualtrieb hatte bereits schweren Schaden genommen. Ob sie wohl jemals wieder Lust auf Sex verspürte? Allein dafür hätte sie Dale am liebsten umgebracht.
Sarah holte ein digitales Diktiergerät aus der Reisetasche und legte es unter ihr Kopfkissen. Wenn heute Nacht etwas geschah, wollte sie wenigstens eine Tonaufnahme besitzen. Dann begann sie, über »nichtreproduktiven Sex«, wie sie es nannte, zu schreiben. Praktiken, die sich seit Beginn der AIDS-Epidemie zunehmender Beliebtheit erfreuten – darunter fielen Sadomasochismus, Anal- und Oralsex, die Verwendung von Sexspielzeug, Ejakulation außerhalb der Vagina, auf Gesicht, Brüste, Gesäß und so weiter.
Der menschlichen Sexualität galt seit Studienbeginn ihr akademisches Hauptinteresse. Sie war in einem sehr religiösen Umfeld aufgewachsen, in dem nie über Sexualität geredet wurde. Unanständige Bücher, Filme oder Fernsehserien standen in ihrer Familie auf dem
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