Der Totenerwecker (German Edition)
mochten.
Dale konnte nachvollziehen, dass jemand eine Frau vergewaltigte und anschließend tötete, um sie zum Schweigen zu bringen. Darin lag eine gewisse Logik. Er konnte auch die Idee des Tötens nur um des Tötens willen nachvollziehen. Aber die Vorstellung, Souvenirs mit nach Hause zu nehmen – Teile der Leichen –, um sich darauf einen runterzuholen, ergab für ihn keinen Sinn. Der einzige Grund, aus dem er sich vorstellen konnte, eine Frau zu vergewaltigen, bestand darin, nicht masturbieren zu müssen. Eine Frau zu vergewaltigen und anschließend zu töten, war eine Sache, aber sie erst zu töten und dann zu vergewaltigen, fand er einfach nur krank. Dale dachte an seinen Vater und daran, was er mit der Leiche seiner Mutter angestellt hatte. Es hatte ihm genauso viel Spaß bereitet, sie zu häuten, wie sie zu ficken.
Dale schlug das Buch zu, als er die Erektion in seinen Shorts anschwellen spürte. Er dachte daran, wie sein Vater unverdrossen auf seine Mutter eingestochen und dann ihre Kehle durchgeschnitten hatte, während er sie von hinten rammelte. Dale schämte sich für die Gefühle, die diese Erinnerung bei ihm auslöste. Er wusste, dass es falsch war, aber er konnte nichts gegen die Empfindungen tun, die das Bild in seinem Körper hervorrief. Es war, als verriete sein eigener Körper ihn und seine Mutter. Es machte ihm Angst, dass er Kemper besser als erwartet verstand. Er dachte darüber nach, was seine Großmutter gesagt hatte: dass Gott verrückt sein musste, die Macht über das Leben einem Menschen wie ihm zu geben. Nur ungern gab er es zu, aber die alte Frau hatte recht damit. Er würde nichts Gutes mit dieser Macht anstellen.
Nebenan nahm seine Mutter ein Bad. Dale hatte schon vor Stunden gehört, wie sie das Wasser einließ. Seither schien sie in der Wanne zu liegen. Er überlegte, ob er nach dem Rechten sehen sollte. Sie hielt sich schon viel zu lange im Bad auf, und seit bestimmt einer halben Stunde hatte er kein Plätschern oder andere Geräusche mehr gehört. Vielleicht war sie hingefallen und hatte sich verletzt. Auch nicht weiter schlimm. Wenn sie tot war, würde er sie einfach zurückholen, so wie er es schon öfter getan hatte.
Das hohle Echo einzelner Tropfen, die auf eine größere Wasserfläche klatschten, hallte durch den Flur, als Dale zum Badezimmer ging. Er rüttelte an der Klinke, aber die Tür war abgeschlossen. Es handelte sich um eines dieser billigen Schlösser, die genauso nutzlos waren wie angeblich kindersichere Verschlüsse von Medikamentenfläschchen. Dale tastete auf der Oberkante des Türrahmens nach dem kleinen Metallstift, den seine Mutter dort immer liegen ließ. Man musste nur diesen Stift – oder etwas anderes, das in das kleine Loch passte – in das Schlüsselloch schieben, und schon ließ sich das Schloss entriegeln. Für jemanden, der wirklich durch die Tür wollte, war es eher lästig als abschreckend. Aber der »Schlüssel« war nicht da.
»Mom?«
Keine Antwort.
»Mom?«, rief Dale lauter. »Alles okay bei dir?«
Immer noch keine Antwort.
Dale hämmerte mit der Faust gegen das Holz.
»Mom! Mom!«
Alles, was er hörte, war das Tropfen des Wasserhahns.
Dale seufzte und wandte sich von der Tür ab. Gemächlich trottete er in sein Zimmer, um einen Kleiderbügel zu holen. Er brauchte sich nicht zu beeilen. Durch Ausprobieren hatte er herausgefunden, dass er jemanden auch dann noch zurückholen konnte, wenn derjenige schon seit mehreren Stunden tot war. Ausschlaggebend war, dass die Verwesung noch nicht eingesetzt hatte. Sobald eine Leiche zerfiel, war sie wirklich und endgültig tot.
Dale fischte einen Drahtbügel aus dem Schrank und bog ihn gerade, während er zurück zum Badezimmer ging. Wahrscheinlich würde er seine Mutter ertrunken in der Badewanne vorfinden, weil sie ausgerutscht war und sich den Kopf am Rand angeschlagen hatte. Möglicherweise war sie auch komplett aus der Wanne gefallen und hatte sich das Genick gebrochen. Wie auch immer, er konnte es wieder in Ordnung bringen.
Dale schob den präparierten Bügel in das Schlüsselloch. Die Tür sprang auf, und er ging hinein. Doch auf das, was er vorfand, war er nicht vorbereitet. Seine Mutter lag in der Wanne, wie erwartet, aber sie war nicht ausgerutscht und hatte sich den Kopf angeschlagen oder das Genick gebrochen, auch keinen Herzinfarkt erlitten. Sie hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten. Das Badewasser glich rotem Fruchtsaft. Ihre Handgelenke waren übel zugerichtet. Zuerst hatte
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