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Der Totenerwecker (German Edition)

Der Totenerwecker (German Edition)

Titel: Der Totenerwecker (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wrath James White
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an. Seine Miene zeugte von völligem Unverständnis.
    »Es ist wie mit diesen Christen, die sagen, wenn es keinen Gott gäbe, würden alle rauben, morden und vergewaltigen. Wenn das stimmt und sie einzig und allein deshalb keine Verbrechen begehen, weil sie Angst haben, in die Hölle zu kommen, sind sie in Wahrheit keine guten Menschen. Tief drinnen sind sie genauso böse wie Mörder und Vergewaltiger – genauso böse wie dein Vater. Da gibt es dieses Zitat, ich habe vergessen von wem; ich bin nicht besonders gut in solchen Sachen. Aber es besagt, dass Moral das ist, was man tut, wenn niemand hinsieht. Es ist das, was man tut, wenn man weiß, dass man nicht erwischt wird. Verstehst du? Auch wenn niemand weiß, dass du dieses Kätzchen getötet hast, auch wenn das Kätzchen es nicht weiß – du selber weißt es, und deshalb verändert es dich. Es geht nicht darum, was du dem armen Tier antust. Es geht darum, was du dir selbst antust. Verstehst du?«
    Dale nickte, und seine Mutter nahm ihn in den Arm und drückte ihn. Aber Dale begriff kein Wort von dem, was sie gesagt hatte. Der Teil von ihm, der hätte verstehen können, der hätte mitfühlen können, war in jenen langen Nächten gestorben, in denen er mitbekam, wie seine Mutter von seinem Vater geschlagen und vergewaltigt wurde. Er war in jener Nacht verkümmert, als er dabei zusah, wie er sie abstach, vergewaltigte und häutete. Fest drückte er seine Mutter und dachte daran, wie sie ausgesehen hatte, so ausgeblutet auf dem Bett, bis er sie wiedererweckte. Er verstand es nicht. Überhaupt nicht.

Kapitel 3
    Dale hörte, wie seine Großmutter schreiend erwachte.
    »Mein Gott! Er hat mich umgebracht! Er hat mich umgebracht!«
    Die Pantoffeln seiner Mutter schlappten über die alten Teppiche, als sie durch den Flur zum Schlafzimmer seiner Oma rannte. Ihre Stimme klang ruhig und tröstend, genauso, wie wenn sie mit ihm sprach. »Alles ist gut, Mama. Du hast einfach nur schlecht geträumt.«
    »Es war Dale. Er hat mich erwürgt. Er hat mich erstickt. Er hat mich umgebracht!«
    »Du bist nicht tot, Mama. Alles ist in Ordnung. Es geht dir gut.«
    »Nein, nein, nein! Er hat’s getan! Ich sage dir, er hat’s getan. Er hat mich umgebracht, und dann hat er mich zurückgeholt. Genau wie diesen Schmetterling und das Kätzchen, mit dem du ihn erwischt hast.«
    »Aber warum sollte er das tun? Wenn er will, dass du tot bist, warum sollte er dich dann wiederbeleben? Du hattest nur einen bösen Traum.«
    »Es war kein Traum. Er hat mich angefasst! Er hat mich ausgezogen und angefasst!«
    »Mama! Warum sagst du so was?«
    »Er hat’s getan, glaub mir! E-er ... er ... arrrgglll.«
    »Mama? Mama? Oh mein Gott, Mama! Dale, ruf einen Krankenwagen! Dale! Einen Krankenwagen! Deine Oma hat einen Schlaganfall!«
    Dale schlug die Decke zurück und stieg aus dem Bett. Er ging durch den Flur zum Zimmer seiner Großmutter. Dort saß seine Mutter auf der Bettkante und hielt die alte Frau, deren Gesicht blau angelaufen war, in den Armen. Dales Großmutter hatte Schaum vor dem Mund, der auf ihr Kinn tropfte. Sie musste sich auf die Lippe oder Zunge gebissen haben, denn der Speichel war blutig. Ihre Augen waren verdreht, man konnte nur das Weiße erkennen. Als Dale in der Tür stand, klärte sich ihr Blick und richtete sich auf ihn. Ihre Augen weiteten sich, und sie begann zu zittern. Dale lächelte. Dann bemerkte er, dass seine Mutter ihn anstarrte. Auf ihrem Gesicht stand ein Ausdruck von Entsetzen und Ekel – sie hatte sein Lächeln bemerkt. Dale ging zum Telefon, nahm den Hörer ab und wählte den Notruf. Während des Telefonats musterte er weiter seine Mutter und seine Großmutter, und sie starrten zu ihm zurück.
    Im Krankenhaus, später in der Nacht, starb seine Großmutter. Dale schlief, als sie von ihnen ging. Er wachte erst auf, als seine Mutter ihn packte und auf ihn einschlug. Er brauchte einen Moment, um zu begreifen, wo er war: im Krankenhaus bei seiner Großmutter. Aber warum schlug seine Mutter ihn? Dale hob die Arme vors Gesicht, um sich vor den Schlägen zu schützen.
    »Mom! Hör auf! Warum schlägst du mich? Ich hab nichts getan!«
    »Hol sie zurück! Hol sie zurück!«
    Zwei Krankenschwestern kamen mit bestürzten Gesichtern ins Zimmer geeilt und zogen sie von ihrem Sohn weg. Dale atmete schwer. Er hatte Blutergüsse im Gesicht und an den Armen, wo die Hiebe ihn getroffen hatten. Auch seine Mutter atmete schwer. Sie starrte ihn mit einem Ausdruck in den Augen an, der an

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