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Der Totengarten

Der Totengarten

Titel: Der Totengarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Pelecanos
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Tankstelle, an der Sie vorhin gehalten haben. Kennen Sie den Mann, der da kassiert?«
    »Hören Sie mal, Sie Arschloch, ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden. Ich habe einfach nur an irgendeiner Tanke gehalten, weil ich Sprit brauchte.«
    »Wie sah der Mann an der Kasse aus?«
    »Irgendein Nigger, schätze ich. Wer sonst würde in so einem Laden arbeiten wollen? Ich habe ihn gar nicht wahrgenommen.«
    Holiday glaubte ihm. Er spürte, wie ihn seine Energie verließ.
    »Man wird Sie noch wegen der Sache an der Oglethorpe befragen«, sagte Holiday.
    »Und?«
    »Wir sprechen uns.«
    Dunne stieß einen Finger in Holidays Brust. »Sie können mich jetzt sprechen.«
    Holiday erwiderte nichts.
    Dunne lächelte mit zusammengebissenen Zähnen.
    »Wollen Sie sich mit mir anlegen?«
    Holiday ließ die Arme locker hängen.
    »Hätte mich auch gewundert«, sagte Dunne.
    Damit ging er zurück zu seinem Ford, setzte sich ans Steuer und fuhr davon. Holiday starrte den Rücklichtern des Explorer nach, bis sie in der Ferne verschwanden. Dann ging er zu seinem Town Car und fuhr zurück zu der Tankstelle.
    An Dunne war einiges faul. Aber er hatte nichts mit Asa Johnson zu tun gehabt, und er kannte Reginald Wilson nicht.
    Es war vorbei. Er musste es dem alten Mann sagen.

SECHSUNDDREISSIG
    Michael Tate schlich sich durch den Wald. Der Abend dämmerte, Bäume und Äste hatten ihre Farbe verloren und waren nun schieferfarbene Umrisse vor einem grauen Himmel. Der Wald war nicht dicht; Tate konnte das Haus bereits sehen. Er bewegte sich behutsam vorwärts, geduldig, und verursachte kaum ein Geräusch.
    In einem Halfter an seinem Rücken steckte eine Waffe, eine billige Taurus 9, die Nesto ihm verkauft hatte. Er wusste selbst nicht, was er tun sollte, wenn er hinter dem Haus ankam. Aber eins stand fest: Er würde nicht auf ein Mädchen schießen.
    Aus Raymond Benjamins Sicht stand Michael Tate in seiner Schuld. Benjamin schickte Tates Mutter jeden Monat Geld. Er hatte Tate Arbeit gegeben, obwohl Tate eigentlich nicht gebraucht wurde und fast nur die Reifen und Felgen der neugekauften Autos reinigte. Benjamin glaubte, Tate sei ihm etwas schuldig und jetzt sei es an der Zeit, dass Tate richtig ins Geschäft einstieg und die ultimative Initiation erfuhr, das Töten mit einer Pistole.
    Tate hingegen fand überhaupt nicht, dass er Benjamin etwas schuldig war. Weil Tates älterer Bruder Dink sich geweigert hatte, vor Gericht gegen Benjamin auszusagen, würde Dink noch zwanzig Jahre im Gefängnis verbringen und schließlich als Mann mittleren Alters ohne Zukunftsperspektive wieder freikommen. Das Geld, das ihre Mutter monatlich erhielt – ein paar hundert Dollar –, reichte nicht einmal für Lebensmittel aus. Und ganz gleich, wie viel man ihr zahlte, kein Geld der Welt hätte sie für den Verlust ihres Sohnes entschädigen können. Jetzt war Benjamin im Begriff, Michael vollends in die Kriminalität einzuführen, wie er es vor langer Zeit mit Dink gemacht hatte.
    Michael hatte gesehen, wohin so etwas führte; nicht nur in seiner eigenen Familie, sondern auch bei vielen anderen in der Gegend, in der er aufgewachsen war. Er hatte nicht vor, diese Grenze zu überschreiten. Außerdem fand er nicht, dass ein Mord einen Jungen zum Mann machte. Das war eine Weisheit von der Straße, was meist gleichbedeutend war mit Schwachsinn. Gewalt hatte seiner Mutter das Herz gebrochen und seinem Bruder seine Jugend geraubt. Mehr brauchte er nicht zu wissen. Ihm würde das nicht passieren.
    Tate war inzwischen am Waldrand hinter dem Haus angekommen. In einem der Fenster an der Rückseite brannte Licht. Er konnte die obere Hälfte einer Frau sehen. Ihre Locken hatten sich teilweise gelöst und hingen ihr um die Schultern. Sie saß da und rieb die Hände gegeneinander. Sie war der schwarze Umriss einer Frau in einem Zimmer, eingerahmt von dem Fenster, gefangen in diesem Rechteck. Wie hieß das Wort noch gleich … eine Silhouette. Die Silhouette einer Frau, angespannt und wunderschön. Wie etwas Angespanntes und Schönes in einem Käfig.
    Tate trat langsam zwischen den Bäumen hervor und ging auf das Haus zu.
    Chantel Richards spürte, dass da etwas war, und als sie aufblickte, sah sie eine schattenhafte Gestalt auf das Fenster zukommen. Sie warf einen raschen Blick zu der verschlossenen Schlafzimmertür. Sie wusste, dass sie eigentlich die Tür öffnen und Romeo rufen sollte. Denn sicher war der dort draußen einer, der gekommen war, um Romeo etwas Furchtbares

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