Der Totengarten
sogar das Footballtraining verboten, ließ ihn aber trotzdem am wöchentlichen Spiel seiner Mannschaft teilnehmen. Entweder fruchtete die Kombination von Liebe und Strenge, oder Diego hatte sich einfach mit der Zeit eingelebt. Ein Lehrer hatte Regina berichtet, Diegos Verhalten im Unterricht habe sich gebessert, und einer hatte sogar gesagt, der Junge könnte andere Schüler positiv beeinflussen, eine Art Vorbildrolle einnehmen. Doch der negative erste Eindruck, den er bei der Schulleitung hinterlassen hatte – einer weißen Direktorin namens Ms. Brewster und ihrem Stellvertreter, Mr. Guy –, war nicht mehr rückgängig zu machen. Ramone hatte das Gefühl, dass sie es inzwischen tatsächlich auf seinen Sohn abgesehen hatten. Diego, entmutigt und unmotiviert, verlor zunehmend das Interesse an der Schule. Seine Noten waren schlechter als an seiner alten Schule in D.C..
»Hör mal«, sagte Ramone. »Wenn du sagst, du wusstest nicht, dass dein Handy eingeschaltet war, dann glaube ich dir.«
»Ich wusste es wirklich nicht.«
Ramone zweifelte nicht daran. Er und Diego hatten seit langem eine Vereinbarung: Erzähl mir die Wahrheit, hatte Ramone gesagt, dann reiße ich dir schon nicht den Kopf ab. Ich werde nur wütend, wenn du mich anlügst. Alles andere können wir irgendwie regeln. Soweit er wusste, hatte Diego seinen Teil der Abmachung immer eingehalten.
»Wenn du es sagst, glaube ich dir«, versicherte Ramone. »Aber die haben dort nun einmal ihre Regeln. Du hättest zulassen sollen, dass sie das Handy für den Rest des Tages konfiszieren. Das war das eigentliche Problem.«
»Meinem Freund haben sie mal das Handy abgenommen und es dann zwei Wochen lang nicht wieder rausgerückt.«
»Deine Mutter und ich hätten dafür gesorgt, dass du es zurückbekommst. Fakt ist, du kannst dich mit denen nicht anlegen. Sie sind die Chefs. Wenn du groß bist und in der Welt da draußen selbst zurechtkommen musst, wirst du auch manchmal Chefs haben, die du nicht magst, und trotzdem musst du tun, was sie sagen.«
»Nicht, wenn ich in der NFL spiele.«
»Ich meine es ernst, Diego. Selbst ich muss schließlich Kompromisse machen gegenüber Vorgesetzten, die ich nicht leiden kann, und ich bin immerhin zweiundvierzig. Das gilt nicht nur für Kinder, sondern auch für Erwachsene.«
Diegos Lippen wurden schmal, sein Gesichtsausdruck verschlossen. Es war nicht das erste Mal, dass Ramone ihm diese Predigt hielt. Ramone wusste selbst, dass er nichts Neues sagte.
»Versuch einfach, nicht immer anzuecken«, sagte Ramone.
»Mach ich.«
Ramone hatte das Gefühl, dass das Gespräch damit beendet war. Er streckte die Hand aus, und Diego schlug leicht mit seinen Fingern auf die seines Vaters.
»Da ist noch was«, sagte Diego.
»Ich höre.«
»Neulich gab es nach der Schule eine Rauferei. Du kennst doch meinen Freund Toby?«
»Den vom Football?«
»Genau.«
Ramone erinnerte sich an Toby, ein kämpferischer Junge, aber kein schlechter Kerl. Er wohnte mit seinem Vater, einem Taxifahrer, in einem der Wohnblocks in der Nähe der Schule. Die Mutter – eine Drogenabhängige, wie Ramone gehört hatte – war aus seinem Leben verschwunden.
»Toby hatte Streit mit einem anderen Jungen«, berichtete Diego. »Der andere hatte in der Schule auf dem Flur allen möglichen Mist zu Toby gesagt und ihn zu einem Kampf herausgefordert. Sie sind runter an den Bach gegangen. Und Toby – wamm!« Diego schlug mit der rechten Faust in die linke Handfläche. »Er hat ihn mit einer Geraden und einem rechten Haken ausgeknockt. Eins-zwei, und der andere Junge lag auf dem Boden.«
»Warst du dabei?«, fragte Ramone, vielleicht mit etwas zu viel Eifer in der Stimme.
»Ja, ich bin an dem Tag mit ein paar Freunden nach Hause gegangen und kam gerade vorbei. Ich wollte zusehen, weißt du …«
»Und?«
»Die Eltern von dem anderen Jungen haben in der Schule angerufen. Jetzt soll der Fall untersucht werden. Sie wollen rausfinden, wer dabei war und wer was gesehen hat. Die wollen Toby was anhängen, wegen Tätlichkeit, sagen sie.«
»Ich dachte, der andere Junge hat Toby zu dem Kampf herausgefordert.«
»Hat er auch, aber jetzt sagt er, das war nur Spaß, er wollte sich gar nicht wirklich prügeln.«
»Und was geht das Ganze die Schule an? Es war doch außerhalb des Schulgeländes, oder nicht?«
»Sie waren beide auf dem Nachhauseweg, hatten ihre Bücher dabei und alles. Darum ist es eine Schulangelegenheit.«
»Verstehe.«
»Die wollen bestimmt von mir,
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