Der Totengarten
zwischen Bongs, deren Rauch er durch die gesplitterten Fenster nach draußen blies, Lynyrd, Skynyrd, Thin Lizzy und Clapton gespielt hatte. Jetzt überprüfte er stündlich den Kurs seiner Wertpapiere und studierte vor jedem Kauf die Consumer Reports. Holiday hätte ihn am liebsten gepackt, geschüttelt und angeschrien, doch selbst das hätte seinen Bruder wohl nicht wieder zum Leben erweckt.
Seine Schwester war längst tot, und seit dem Tod der Eltern war Holiday allein. Das Einzige, wofür es sich gelohnt hatte, morgens aufzustehen – was ihn dazu gebracht hatte, mit einem Ruck die Augen aufzuschlagen und aus dem Bett zu springen –, war ihm genommen worden. Er war Cop gewesen, und jetzt war er es nicht mehr. Jetzt trug er eine alberne Mütze, trieb Konversation mit Leuten, die ihn nicht im mindesten interessierten, und hob Gepäck in den Kofferraum eines Wagens und wieder heraus.
Das alles wegen eines anderen Cops, der für ihn kein Auge zugedrückt hatte. Ein Streber, wie Holidays Bruder. Noch so ein Typ mit Stock im Arsch.
Es zog ihn noch nicht nach Hause, deshalb verließ er den Beltway an der Georgia Avenue und fuhr in südlicher Richtung nach D.C.. hinein. Er hatte noch Zeit für ein Glas, vielleicht zwei, im Leo’s, bevor die Stühle hochgestellt wurden.
Die Familie Ramone saß am Esstisch in dem offenen Bereich zwischen Küche und Wohnzimmer. Sie versuchten, jeden Abend gemeinsam zu essen, auch wenn das wegen Ramones unregelmäßiger Dienstzeiten viele späte Mahlzeiten bedeutete. Sowohl Regina als auch Ramone stammten aus Familien, in denen darauf Wert gelegt wurde. Der Italiener in Ramone war davon überzeugt, eine gemeinsame Mahlzeit sei nicht nur ein Alltagsritual, sondern eine geradezu spirituelle Angelegenheit.
»Gute Soße, Mom«, bemerkte Diego.
»Danke.«
»Schmeckt nur ein bisschen verbrannt«, fügte Diego hinzu und fing Ramones Blick auf.
»Deine Mom hat den Knoblauch und die Zwiebeln mit dem Flammenwerfer bearbeitet«, sagte Ramone.
»Ach, hört doch auf«, erwiderte Regina.
»Wir machen nur Spaß, Schatz«, sagte Ramone. »Es schmeckt wirklich gut.«
Alana, den Mund dicht über ihrem Teller, versuchte gerade eine Gabel voll Spaghetti einzusaugen. Sie aß leidenschaftlich gern, und ihre Gedanken und Gespräche kreisten oft ums Essen. Ramone mochte es schon bei erwachsenen Frauen, wenn sie mit echtem Genuss aßen; erst recht gefiel es ihm an seinem kleinen Mädchen.
»Soll ich dir das nicht klein schneiden, Schwesterchen?«, fragte Diego.
»M-hm«, machte Alana.
»Dann hättest du’s einfacher.«
»Nö.«
»Du isst wie ein Schwein«, stellte Diego fest.
»Lass sie in Ruhe«, ermahnte Ramone seinen Sohn.
»Ich wollte ihr ja nur helfen.«
»Kümmer dich um deine eigenen Angelegenheiten«, sagte Ramone. »Du hast übrigens Soße auf dem Hemd.«
»Mist«, murmelte Diego, als er die Spritzer auf seinem Rippunterhemd sah.
Das Gesprächsthema wechselte zu Diegos Hausaufgaben, und er wiederholte, er habe die Arbeiten schon in der Freistunde erledigt. Anschließend ging es um den Austausch von Laveranues Coles gegen Santana Moss und Ramones Ansicht, Santana Moss tauge als Fänger nur auf der Außenposition, da er im Mittelfeld Pässe fallen ließe, sobald er jemanden kommen hörte. Diego, der ein Jets-Trikot mit Moss’ Namen auf dem Rücken besaß, widersprach.
»Wer ist eigentlich Ashley?«, erkundigte sich Regina plötzlich, an Diego gerichtet.
»Nur ein Mädchen aus meiner Schule«, antwortete Diego.
»Ich habe ihren Namen auf deinem Handy gesehen«, sagte Regina.
»Ist das ein Verbrechen?«, fragte Diego.
»Natürlich nicht«, erwiderte Regina. »Ist sie nett?«
»Wie sieht sie denn aus?«, wollte Ramone wissen. Diego kicherte.
»Mom, sie ist bloß ein Mädchen, das ich aus der Schule kenne. Ich hab mit keiner von denen was, okay?«
»Aber … du magst doch Mädchen?«, fragte Ramone. »So ganz allgemein.«
»Ach, hör auf, Dad.«
»Ich habe mich das in letzter Zeit manchmal gefragt.«
»Das ist privat«, wehrte Diego ab.
»Ich meine, weil du nie über Mädchen sprichst.«
»Dad!«
»Es ist okay, so zu sein«, versicherte Ramone.
»Dad, ich bin nicht schwul.«
»Ich würde dich trotzdem noch lieben. Ich meine, wenn du … so wärst.«
»Gus«, warf Regina ein.
Sie sprachen über die Washington Nationals. Diego fand, Baseball sei ein »Weißensport«, woraufhin Ramone ihn daran erinnerte, wie viele schwarze und hispanische Spieler es in den Profiligen gab.
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