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Der Totengarten

Der Totengarten

Titel: Der Totengarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Pelecanos
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seinem langen Gesicht und den großen Augen, mit denen er fast rundum sehen konnte, ohne den Kopf zu drehen. Er sah weniger wie ein echter Fisch aus, eher wie eine Comicversion. Selbst seine Mutter hatte ihn bis an ihr seliges Ende Fish genannt.
    Er kam gerade aus dem Haus seiner Schwester, ging zu Fuß die Quincy Street in Park View entlang und sah sich an, was die Zugezogenen aus den Häusern machten, die er sein Leben lang gekannt hatte. Er hätte nie gedacht, dass sich in Park View einmal Besserverdienende ansiedeln würden, doch jetzt sah man es an jeder Ecke. Junge schwarze und spanische Käufer, die sich die Anzahlung leisten konnten, richteten sich die alten Reihenhäuser wieder her, und es gab sogar vereinzelte weiße Pioniere. Verdammt, ein paar weiße Jungs hatten im Frühjahr an der Georgia eine Pizzeria eröffnet. Fishhead hatte nicht mehr geglaubt, dass er noch miterleben dürfte, wie Weiße hier im Viertel Läden aufmachten.
    Nicht dass die Dealer und sonstigen Kriminellen deshalb plötzlich verschwunden wären. Diesseits der Georgia wurden immer noch schmutzige Geschäfte abgewickelt, vor allem im Bereich um die Morton Street. Und die Westseite der Avenue, bis nach Columbia Heights, war größtenteils in spanischer Hand. Aber hier hoben die Grundstückseigentümer beharrlich Haus für Haus den Standard.
    Fishhead Lewis fragte sich, wie ein Mann wie er sich noch länger in dieser Stadt heimisch fühlen sollte. Wenn die Leute erst mal anfingen, Geld in ihre Häuser zu stecken, wollten sie keine heruntergekommenen Typen mehr an ihren Gärten vorbeigehen sehen, nicht einmal auf den öffentlichen Gehwegen. Diese Leute gingen wählen, deshalb konnten sie etwas bewirken. Jetzt gab es Politiker wie diesen ehrgeizigen hellhäutigen Stadtratsabgeordneten für die Gegend oberhalb der Georgia, die versuchten, Gesetze gegen das Herumlungern durchzusetzen und gegen den Verkauf von einzelnen Bierdosen. Verdammt, nicht jeder wollte gleich ein Sixpack, und nicht jeder konnte es sich leisten. Freunde von Fishhead sagten:»Wie wollen die solche Diskriminierungen durchsetzen?« Fishhead musste es ihnen erklären: Mit genügend Geld und Macht im Rücken konnte man das verdammt gut. Dabei ging es diesem hellhäutigen Typen gar nicht darum, wer sich wo rumtrieb oder ob sich jemand an einem Sommerabend ein Bier genehmigte. Er wollte Bürgermeister werden, und da hatten sie nun die Bescherung.
    Er bog in eine Seitenstraße hinter der Quincy ein, oben beim Warder Place. Da, am Ende der Straße, stand der schwarze Impala SS. Sie trafen sich gern an der Stelle.
    Fishhead hatte keinen geregelten Job. Er verdiente sein Geld, indem er Informationen verkaufte. Für deren Beschaffung waren Junkies die perfekten Handlanger. Sie trieben sich an Orten herum, wo sich andere Leute nicht aufhalten konnten. Sie hörten Gerüchte über Drogen und Mord, die tiefer gingen als die Ghetto-Buschtrommel in der Nachbarschaft und beim Friseur. Sie erschienen harmlos und erbärmlich, aber sie hatten Ohren, ein Gehirn und einen Mund zum Reden. Süchtige, Kleindealer und Prostituierte waren die größten Insider und die besten Informanten der Straße.
    An diesem Morgen hatte Fishhead etwas besonders Interessantes erfahren. Die Information kam von einem Jungen, den er kannte und der unten in LeDroit an einem Drogenumschlagplatz arbeitete. Der Junge sagte, morgen sollte aus New York eine Lieferung reinster Stoff reinkommen, und der Dealer, an den er geliefert wurde, war ein Neueinsteiger, jemand, der noch nicht in der Szene Fuß gefasst hatte. Ein Mann ohne Netzwerk hinter sich, ohne Konsortium, wie es hieß, mit anderen Dealern. Eine Einzelperson ohne Rückendeckung, abgesehen von einem unbedeutenden Typen, einem Niemand, der auf den Zug aufspringen wollte.
    Fishhead wollte endlich aus dem Kellergeschoss seiner Schwester raus. Das Haus hatte früher ihrer Mutter gehört, doch der Schwester war es gelungen, das gesamte Erbe an sich zu bringen. Da sie nicht völlig gewissenlos war, gestand sie ihm ein Zimmer im Keller zu, mietfrei, aber ohne Zugang zur Küche, und die Tür zum Erdgeschoss war mit einem Schloss gesichert. Er hatte eine Matratze, eine Kochplatte, einen kleinen Kühlschrank und eine Toilette mit Duschkabine, in der sich Kakerlaken tummelten. Fishhead machte seiner Schwester keinen Vorwurf, weil sie ihn wie einen Hund behandelte, den man nicht in die Wohnung ließ. Nach all dem Mist, den er verbrochen, all dem Kummer, den er seiner Familie

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